Taarof, das Wechselspiel der Höflichkeit – Iran Folge 19
Mittwochnachmittag, 22. März 2017
Der Nachmittag gehört uns. Für nur zehn Euro mieten Walter und ich uns ein Taxi für den ganzen Nachmittag. Verglichen mit Deutschland ist Taxi fahren in Iran günstig. Zuerst bringt uns der Taxifahrer zu einem shiitischen Heiligtum. Eh’ ich mich verseh’ steck’ ich in einem bunten Blümchentschador aus Baumwolle. Durch den Fraueneingang komme ich in das Innere, wo es mir von der glitzernden Pracht der vielen Spiegelmosaike wieder einmal die Sprache
verschlägt. Wie in allen Mausoleen ist auch hier der Sarkophag von einem Metallgitter umgeben und mit einem in der Farbe des Propheten, nämlich grün, gehaltenen Stoff bedeckt.
Taarof, das rituelle Wechselspiel der Höflichkeit
Mein Mann möchte der Frau am Eingang ein kleines Trinkgeld für meinen geliehenen Tschador zustecken. Doch die alte Frau lehnt höflich ab. Er versucht es ein zweites Mal und wieder gibt die Frau ihm zu verstehen, dass sie das Geld nicht annehmen möchte. Walter schüttelt irritiert den Kopf, steckt den Schein wieder ein und murmelt während er weiter geht „Wer nicht will, der hat gehabt.“ Die Alte, ebenfalls irritiert, springt ihm schnurstracks hinterher, packt ihn an seinem Jackenärmel, er dreht sich um und schaut auf ihre aufgehaltene Hand. So etwas passiert, wenn man sich vor einer Reise nicht mit den Gepflogenheiten des Landes vertraut macht. Taarof, so heißt das rituelle Wechselspiel der Höflichkeit, auf das Unwissende so gerne hereinfallen.
„Nein Danke, aber nicht doch“ –
„Bitte, nehmen Sie.“ –
„Nein, nein, das kommt überhaupt nicht in Frage.“
Erst nach dem dritten Versuch wird das Geschenk oder die Einladung angenommen.
Im Innenhof der Anlage befindet sich ein Friedhof. Unter den Steinplatten ruhen die Toten. Ich muss aufpassen, dass ich nicht auf den Gräbern gehe, denn auf den ersten Blick ist der Friedhof nicht als ein solcher zu erkennen. Hier treffen wir unseren mitreisendenPeter. Er ist alleine unterwegs und fragt, ob er sich für den restlichen Nachmittag uns anschließen darf. Am Ausgang der Anlage wartet unser Taxifahrer und bringt uns drei nun zu einer etwas außerhalb gelegenen Gartenanlage. Die Fahrt dorthin ist abenteuerlich. Verkehrsregeln scheint’s hier keine zu geben. Ich sag’s Ihnen. Nie möchte ich in einer iranischen Großstadt Auto fahren.
Die Schlange am Eingang des Gartens ist lang. Die Wartezeit erscheint dennoch kurz. Ich komme ins Gespräch mit einer iranischen Familie, deren jüngster Sohn in der Schule Deutsch lernt. Stolz bringt der Kleine seine Deutschkenntnisse an den Mann beziehungsweise an die Frau.
Im Garten stehen Pinien, Dattelpalmen, Zypressen und Orangenbäume. Während die beiden Männer durch die Parkanlage spazieren beobachte ich die vielen mehrköpfigen Familien bei ihrem Nouvruzpicknick und genieße die milde Frühlingssonne.
Dieser Tag endet mit einem vorzüglichen Essen etwas außerhalb der Stadt.
Christa Schwemlein
Shiraz, die Stadt der Poeten, der Rosen und des Weines – Iran Folge 18
Die Menschen sind Glieder miteinander verwoben,
von gleichem Stoff aus der Schöpfung gehoben.
Hat das Leben ein Glied mit Schmerz versehen,
Die anderen Glieder vor Leid vergehen.
Du, der kein Mitleid mit anderen kennt,
bist unwürdig, dass man dich einen Menschen nennt.
Saadi, 13. Jhd
***
Heute wird’s poetisch. Am Vormittag stehen die Grabmale der beiden großen persischen Dichter Hafiz und Saadi auf dem Programm. Während der Fahrt dorthin lernen wir, dass die persische Literatur hauptsächlich auf den Gebieten des heutigen Iran, Afghanistan, Tadschikistan und Usbekistan entstanden ist und es nicht selten Dispute darüber gibt, welchem Land die Literaten der persischen Sprache überhaupt zuzuordnen sind. In einem Land, in dem die freie Meinungsäußerung nur bedingt zugelassen ist, spielt die historische Doppeldeutigkeit in der persischen Literatur heute eine große Rolle. Die persischen Dichter waren und sind wahre Meister des Doppelsinns. Als Parabel getarnt lässt sich so die eigene Meinung äußern.
Saadi, im 13. Jahrhundert in Shiraz geboren, war ein tief religiöser Mensch und wird im Iran nach wie vor verehrt. In seinen Werken geht es um Toleranz und Gerechtigkeit.
Hafiz, ebenfalls in Shiraz geboren, allerdings ein Jahrhundert später als Saadi. ist wohl der größte persische Lyriker. Mehr als fünfhundert Gedichte hat er geschrieben. Von ihm wird erzählt, dass er schon als kleiner Junge den Koran auswendig wiedergeben konnte. Deshalb auch der Künstlername Hafiz, was so viel heißt, wie: Der, der den Koran auswendig kann. Freizügig besang Hafiz die Liebe und den Wein und war deswegen nach der Revolution von 1979 so manchem Ajatollah ein Dorn im Auge.
Persische Dichter haben über Jahrhunderte hinweg andere Kulturen und Sprachen beeinflusst. So war auch Goethe ein großer Bewunderer von Hafiz’ Dichtkunst. Mit seiner Gedichtsammlung „Westöstlicher Diwan“ setzte er, der sich als geistiger Zwillingsbruder von Hafiz empfand, dem persischen Poeten ein literarisches Denkmal.
Das Hafiz-Mausoleum befindet sich in einer wunderschönen Parkanlage, die zu den schönsten Gartenanlagen der Stadt zählt.
Obwohl wir sehr früh hier eintreffen wimmelt es bereits von iranischen Touristen. Aus ganz Iran pilgern Menschen während der Nouruz-Feiertage hierher, legen Rosen an das Grabmal, streichen andächtig die Hände über den Alabaster des Grabes in der Hoffnung, dass der Segen des Poeten auf sie übergeht. Abseits der Menschenmenge holen unsere Reiseleiter einen Gedichtsband hervor und zitieren einige Verse der mittelalterlichen Dichter, zuerst in Farsi und dann auf deutsch.
Shiraz wurde einst von Achämeniden gegründet. Die Stadt hat verschiedene Blütezeiten erlebt. Heute zählt Shiraz zu den fünf größten Städten des Landes und sei, so unsere Reiseleiterin, die Lieblingsstadt der meisten Iraner.
Aufgrund des milden Klimas gedeihen in Shiraz viele Pflanzen, weshalb die Perser Shiraz auch den „Garten Irans“ nennen. Die Stadt ist vor allem wegen der berühmten Rosenzüchtungen bekannt. Allerdings ist die Rosenblüte erst im Mai, so dass uns diese Augenweide leider entgeht. Die Stadt ist auch, so paradox das klingen mag, als Metropole des Weines gepriesen – zumindest zurückblickend. Weinliebhabern muss ich sicherlich nicht erzählen welch hervorragende Weine die Shiraz Rebe hervorbringt.
Nach dem Besuch des Hafiz Mausoleum machen wir uns auf den Weg zur „Nasr-ol-Molk-Moschee“, im Volksmund auch Rosenmoschee genannt. Weshalb, das erklären diese Bilder.
Die Fenster des Gebetshauses sind aus bunten Glasmosaiken zusammmengesetzt. Das einfallende Sonnenlicht lässt den Gebetsraum in den wunderschönsten Farben erstrahlen. Das berauschende Farbenspiel lockt allerdings auch allerhand Touristen und einheimische Besucher an, weshalb von einer andächtigen Stille keine Rede sein kann.
Vor der Mittagspause drängen wir uns noch durch den Bazar. Wie in allen Bazaren sind auch hier die einzelnen Produktbereiche von einander getrennt. Beim Anblick der Stoffauslagen geht mir, ich kanns nicht anders sagen, das Herz auf.
Mir fällt auf, wie zurückhaltend die iranischen Händler sind. Ganz anders als in den anderen muslimischen Ländern, die ich bisherher besucht habe. Keiner von ihnen animiert uns zum Kauf. Mit einer Eisspezialität von Shiraz runden wir den beschaulichen Vormittag ab.
Den Nachmittag haben wir zur freien Verfügung. Walter und ich ziehen alleine los. Doch wehe wenn sie losgelassen tappt mein Mann auch gleich ins Fettnäpfchen. Doch davon im nächsten Beitrag ….
Christa Schwemlein
Erlebt am:
Mittwoch, den 22. März 2017
580 Kilometer auf der alten Königstrasse – Iran Folge 17
Wie gestern Abend vereinbart, erscheinen wir heute Morgen pünktlich um 5.30 Uhr zum Frühstück. Doch die Tür zum Speisesaal ist geschlossen. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Wie Schuppen fällt’s mir von den Augen. Wir haben vergessen unsere Uhren an die Zeitumstellung anzupassen.
Bei unserem Aufbruch ist es noch dunkel. Im Bus spielt leise Musik und ich schließe noch einmal die Augen bis mich die Ausführungen unserer Reiseleiterin zum politischen System im Iran ins Hier und Jetzt zurück holen.
Politisches System
Die zentrale Figur des Systems ist der religiöse Führer. Er ist auch die höchste Entscheidungsinstanz. Er gilt als Statthalter des zwölften, in die Verborgenheit verschwunden Imams der Shiiten und herrscht an seiner Stelle. Voraussetzung zur Bekleidung dieses Amtes ist der religiöse Rang eines Ayatollahs. Der religiöse Führer wird von dem sogenannten Expertenrat, einem Gremium von 86 Klerikern, auf Lebenszeit gewählt und ist mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. So hat er zum Beispiel das oberste Kommando über die Armee. Er allein ernennt den Chef der Polizei- und Ordnungskräfte des Landes sowie den Leiter der Rundfunkanstalt. Er bestätigt den Präsidenten und kann Kraft seines Amtes Gesetze außer Kraft setzen. Der Bevölkerung gegenüber ist er keine Rechenschaft schuldig. Auch die Zusammensetzung des Wächterrates gehört zu seinen Aufgaben. Der jetzige religiöse Führer, Ali Khamenei kam 1989 nach dem Tod von Ajatollah Khomeini an die Macht. Irans politisches System weist einige Besonderheiten auf. Sollten Sie sich dafür interessieren, so finden Sie weitreichende Informationen hier im Internet.
Nach den umfangreichen politischen Ausführungen geht Ali mit Tee, Shirinis und später Schokolade durch den Bus. Unsere Reisebegleiter sind rührend bemüht, uns die langen Busfahrten so angenehm wie möglich zu gestalten.
Frau Schulte berichtet, dass Präsident Ahmadinedschad eine dankbare Figur für Witze gewesen sei. Drei davon gibt sie zum Besten. „Kein anderer iranischer Politiker wurde von der Bevölkerung mehr verlacht als dieser Präsident“, sagt sie. Nun, mein Humor ist das nicht.
Stiftungen
Nach der humoristischen Einlage wird’s wieder ernst. Wir wenden uns den Stiftungen des Landes zu. „Das Siegel des Propheten“ ist eine davon. Hinter diesem frommen Namen verbirgt sich allerdings kein gemeinnütziger Verein, wie sich vielleicht vermuten ließe, sondern ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen der Islamischen Republik, das sich zur Aufgabe gemacht hat, die Wirtschaft des Irans zu kontrollieren. „Das Siegel des Propheten“ ist das Wirtschaftsunternehmen schlechthin“, so unsere Reiseleiterin. „Ein Drittel der Volkswirtschaft wird von diesem Unternehmen kontrolliert“.
„Setad“ ist eine bekannte religiöse Stiftung und zählt ebenfalls zu den mächtigeren Stiftungen des Landes. Ayatollah Khomeini hat diese kurz vor seinem Tod 1989 ins Leben gerufen. Heute kontrolliert sein Nachfolger Aytollah Ali Khamenei dieses Imperium.
Wächterrat, Expertenrat, Schlichtungsrat, ob die Strippenzieher Steuern zahlen oder nicht und wer wen und weshalb kontrolliert, all dies wird mir allmählich zu viel. Mein Bedarf an politischer Wissensvermittlung ist für den Vormittag gedeckt. Trotzig schalte ich meine Ohren auf Durchzug, bitte meinen Mann gut aufzupassen und sich Notizen für unseren Vortrag zu Hause zu machen. Entspannt lehne ich mich zurück und erfreue mich, während draußen eine eigenwillige sandige Hügellandschaft vorüber zieht, an dem sich immer wieder verändernden Farbenspiel der Natur.
Wir fahren auf der einstigen Königstraße Richtung Shiraz.
Die Sasaniden hinterließen an dieser Strecke eindrucksvolle Baudenkmäler – allen voran die Königstadt Bishapur. Hier halten wir an. Bevor wir unsere Besichtigungstour beginnen ist erst mal Zeit für unser mittägliches Picknick. Wir alle haben einen Bärenhunger.
Die Überreste von Bishapur bestehen heute aus drei Komplexen – der eigentlichen Stadt, der Festung und sechs Felsreliefs, die von den Großtaten der Könige erzählen. Hier im Foto sehen Sie das Felsrelief Nr. 2. Es stellt den Sieg Shapurs I. über die römischen Kaiser dar.
Auch gut erhaltene Investiturszenen sind zu sehen. Sie zeigen wie Ahura Mazda dem jeweiligen König den Ring der Herrschaft überreicht.
Nach 580 zurückgelegten Kilometern kommen wir am Abend in Shiraz, der Stadt der Poeten, der Rosen und des Weines an.
Christa Schwemlein
Erlebt am:
Dienstag, den 21. März 2017
Susa, im Reich der Elamer – Iran Folge 16
Nach einem mageren Frühstück verlassen wir kurz nach 8.00 Uhr unser Hotel in Ahvaz und fahren unser erstes Etappenziel, die biblische Stadt Susa, an.
Im Bus beschäftigen wir uns mit Irans antiker Kulturgeschichte Irans und tauchen hierzug ins Altertum ein.
„Die Provinz Khuzestan“, so unsere Reiseleiterin, „entführt uns heute in die antike, ja sogar prähistorische Geschichte des Landes.“ Zum Glück habe ich mich gestern Abend ein wenig in den heutigen Tag eingelesen, so dass ich den umfangreichen geschichtlichen Ausführungen in etwa folgen kann.
Im 5. bis 3. Jahrtausend vor Chr., so hören wir, entstanden hier in Khuzestan relativ früh eine ganze Reihe von Handelszentren. In diesem Netz von Handelzentren lagen die ganzen Systeme der Handelsstrassen, auch die Seidenstrasse. Das führte dazu, dass sich die Städtekulturen explosionsartig entwickelten. In dieser Zeit wurde auch der Persische Golf für den Seehandel entwickelt. Bald florierten Produktion und Handel, so dass aus einer Ackerbau betreibenden Gesellschaft eine echte städtische Zivilisation werden konnte. Es entstand ein Wirtschaftssystem, das es zu organisieren galt und das nur mit Hilfe von Aufzeichnungen bewerkstelligt werden konnte. Der Boden für die Entstehung einer Schrift für Verwaltungszwecke war bereitet. Zunächst wurde eine Bildschrift geschaffen, die sich aus Zahlensymbolen und Wortzeichen zusammen setzte. Geschrieben wurde mit einem spitzen Hölzchen in feuchtem Ton. Gelesen wurde von rechts nach links. Auf diese Art entstanden Lieferscheine, Quittungen und Rechnungen. Jahrtausende vor Christus! Das muss man sich mal vor Augen halten.
Das Reich beziehungsweise die Kultur, die sich hier entwickelte, trägt den Namen Elam. Ein Begriff, der mir aus der Bibel bekannt ist, über dessen Bedeutung ich mir bis zum heutigen Tag jedoch keine Gedanken gemacht habe. Von Pracht und Überfluss der Stadt Susa erzählt das Alte Testament im Buch Esther. Allerdings reicht mein Vorstellungsvermögen nicht aus, um auf dem Ruinenfeld von Susa etwas von der einstigen Pracht erahnen zu können. Ich bin enttäuscht. „In Persepolis sehen Sie mehr“, tröstet mich die Deutschlehrerin aus Nordrhein-Westfalen, als könne sie meine Gedanken lesen.
Susa wurde auf einem etwa 10 Meter hohen Hügel terrassenförmig angelegt und zählt zu den ältesten Siedlungen der Welt. Funde deuten auf eine Besiedlung um 4ooo v. Chr. hin. Seit dem dritten Jahrtausend bildete Susa das Zentrum des Reiches von Elam. Man nennt dieses Zeitalter das protoelamische Zeitalter. Seine Blütezeit erlebte die Stadt zur Zeit des mittelelamischen Reiches zwischen 1900 und 1100 v. Chr. Nach der Eroberung durch den babylonischen König Nebukadnezar I begann der Zerfall des elamischen Reiches und esführte in den darauf folgenden Jahren ein unbedeutendes Dasein. Erst in der achämenidischen Epoche erlebte Susa unter Darius dem Großen noch einmal eine Blütezeit, bis die Stadt von Alexander dem Großen erobert wurde. Tja, Reisen bildet.
Der Jahreswechsel um die Mittagszeit ist unspektakulär. Wir hören und sehen die Neujahrsansprache von Präsident Hassan Rohani. Frau Schulte wünscht ihrer Crew alles Gute zum neuen Jahr und überreicht den beiden jüngsten Shahab und Ali, einem alten Neujahrsbrauch folgend, frisch gedruckte Geldscheine.
Nach biblischen Überlieferung soll sich der Prophet Daniel während des babylonischen Exils in Susa aufgehalten haben. Nach seiner Freilassung, so wird erzählt, habe er als gebildeter Jude zwei achämenidischen Großkönigen als Berater gedient. Nach seinem Tod sei er in Susa begraben worden. Das Mausoleum ist heute eine muslimische Pilgerstätte. Im Koran wird Daniel zwar nicht namentlich erwähnt, doch wird er als Prophet von den Muslimen verehrt. Allerdings beanspruchen noch mehrere Orte im Nahen Osten die Gebeine des Propheten zu beherbergen.
„Was ist, kommen Sie mit?“ erkundigt sich der Geschichts- und Lateinlehrer, der inzwischen von meinem Interesse für Religion weiß. Da mein Kreislauf mir heute Probleme bereitet lehne ich ab und halte stattdessen im kühlen Schatten eines Baumes eine Siesta.
Nach der Mittagspause fahren wir nach „Haft Tepe“, was so viel wie sieben Hügel heißt. Um 2000 v. Chr., also in der mittelelamischen Periode, befand sich hier eine städtische elamische Siedlung. Wir hören, dass die Elamer in der Bibel Elamiter heißen und sehr religiöse Menschen waren. Sie verehrten die Schlange, ein altelamisches Fruchtbarkeitssymbol.
Letzter kultureller Höhepunkt des heutigen Tages ist die fast 3500 Jahre alte Stufenpyramide von „Chogha Zanbil“. Sie wurde in den 1930er Jahren, während Frankreich nach neuen Ölvorkommen suchen ließ, zufällig entdeckt und zählt bis heute zu den bedeutendsten antiken Funden des Landes.
Am Ende unserer langen Besichtigungstour überraschen uns Ali und unser Busfahrer mit zuckersüßen, gekühlten Wassermelonen.
Außen Hui und Innen Pfui!
So könnte man unser Hotel in Ahvaz kurz und knapp beschreiben.
Christa Schwemlein
Erlebt am:
Montag, den 20. März 2017
Weiter geht’s …
Nach einem hartnäckigen Grippevirus, der mich vier Wochen lang fest in seinen Krallen hatte, geht es mit Folge 16 meines Reiseberichtes endlich weiter.
Unser Vortrag liegt inzwischen auch hinter uns. Für das große Interesse und die vielen positiven Rückmeldung bedanken wir, mein Mann und ich, uns recht herzlich. “Ihr Vortrag war lang, aber nicht langweilig” bemerkte eine Zuhörerin am Ende. Auch für dieses schöne Kompliment herzlichen Dank.
Christa Schwemlein
Nouruz – Iran Folge 15
Heute ist Montag, der 20. März 2017 und Nouruz, das Neujahrsfest der Iraner. Zeit ein paar Worte über dieses Fest zu schreiben. Das 13-tägige Fest ist eines der ältesten Feste der Menschheit und im Iran das wichtigste nicht-religiöse Fest. Der Höhepunkt der diesjährigen Feierlichkeiten ist heute am Jahreswechsel. Dieser richtet sich nach der Sonnenwende und ist immer am 20. beziehungsweise 21. März, je nachdem ob das Jahr ein Schaltjahr ist oder nicht.
Wörtlich übersetzt bedeutet Nouruz soviel wie „Neuer Tag“, wobei „Ruz“ auch auf das Wort „Licht“ zurückzuführen ist, welches in der Avesta, der heiligen Schrift der Zoroastrier, verwendet wird. Dies lässt vermuten, dass die Ursprünge dieses Festes in zoroastrischer Vergangenheit liegen. Von den Zoroastriern und deren Religion erzähle ich Ihnen, wenn wir in der Wüstenstadt Yasd angekommen sind. Jetzt, also zurück zu Nouruz.
Dem Fest geht, wie wir am Anfang unserer Reise von Frau Schulte erfahren haben, ein gründlicher Hausputz voraus, der in etwa unserem Frühjahrsputz vor Ostern gleicht. Am letzten Mittwochabend des alten Jahres werden auf den Straßen kleine Lagerfeuer entzündet. Mit dem sogenannten Mittwochsfeuer wird das alte Jahr verabschiedet. Deshalb wird dieser Tag auch der „feuerrote Mittwoch“ genannt. Dieser Tag läutet die Nouruz-Feierlichkeiten ein.
Das Feuer steht symbolhaft für Gott. Der Brauch schreibt vor, dass Jung und Alt über die Flammen springen, um sich von den Belastungen des alten Jahres rituell zu befreien. Dabei singen sie: “Gelbes zu dir, deine Röte zu mir“, was so viel bedeutet wie: „Nimm meine Schwächen und erfülle mich mit deiner Stärke.“
Ist das Mittwochsfeuer erloschen wird der Neujahrstisch gedeckt. Der Tisch, „Haft Sin“ genannt, gehört ebenfalls zum Nouruz Ritual. Sieben Gegenstände, die alle mit dem arabisch-persischen Buchstaben „sin“ beginnen, werden auf diesem Tisch angerichtet. Üblicherweise gehören dazu „Sib“ (Apfel), „Sir“ (Knoblauch) „serkeh“ (Essig) und so weiter. Diese Gegenstände symbolisieren Neubeginn, Wohlstand, Gesundheit und Fruchtbarkeit. Zusätzlich befinden sich Kerzen, Spiegel und bunte Eier auf dem Tisch. Auf keinen Fall darf der kleine Goldfisch im Wasserglas fehlen. Religiöse Familien legen ebenfalls ein heiliges Buch, den Koran, die Avesta, die Thora oder die Bibel dazu, je nach Religionszugehörigkeit.
Zum eigentlichen Festtag versammelt sich die Familie um den „Haft-Sin-Tisch“, beschenkt sich gegenseitig und besucht Verwandte und Bekannte. Üblich ist es, dass die Jüngeren die Älteren besuchen und die Älteren den Jüngeren mit frisch gedruckten Geldscheinen eine Freude bereiten. Es ist ein Tag der Freude und des Friedens, zu dem man sich neu einkleidet und alte Feindschaften begräbt. Mit dem 13. Tag nach Nouruz endet das Fest.
Wie in vielen Kulturkreisen gilt auch im Iran die Zahl 13 als Unglückszahl. Es wird erzählt, dass am dreizehnten Tag nach Nouruz böse Geister in die Häuser kommen. Deshalb verbringt man diesen Tag in der feien Natur mit einem ausgiebigen Picknick. Manchmal begegnet man dabei auch einem „Haji Firuz, einem verkleideten Mann mit schwarzem Gesicht, leuchtend roten Kleidern und einem roten Filzhut auf dem Kopf. Seine Aufgabe besteht darin gute Laune zu verbreiten.
Nach diesem Ausflug wird der „Haft-Sin-Tisch“ wieder abgedeckt und der ganze Zauber ist vorbei.
Sie fragen sich vielleicht auch, was an diesem Fest islamisch ist? Kurz und knapp: Nichts, aber auch rein gar nichts. Den meisten Iranern ist gar nicht bewusst, dass sie im Grunde ein zoroastrisches Fest feiern, was sich besonders in der Tradition des Mittwochfeuers zeigt. Sie halten diesen Brauch einfach für ihr traditionelles Frühlingsfest.
Da Nouruz kein muslimische Fest ist, haben die Mullahs nach der islamischen Revolution versucht, das Fest abzuschaffen. Gelungen ist ihnen das nicht.
Christa Schwemlein
Erstaunliche Erfahrungen – Iran Folge 14
Frauen im Iran
Unsere Toilettengespräche sind Anlass, während der Weiterfahrt über das Leben der Frauen im Iran zu sprechen. Wir sprechen über das Kopftuch, die Geschlechtertrennung, die Ehe sowie die Ehe auf Zeit und wir hören, dass etwa ein Drittel aller Arbeitskräfte und auch ein Drittel aller promovierten Akademiker Frauen sind. An den Universitäten sind Männer sogar in der Minderheit. Frauen arbeiten mittlerweile in allen Berufen und tragen wesentlich zum Lebensunterhalt ihrer Familien bei. Lediglich das Richteramt ist ihnen noch vorenthalten.
„Komisch. Wie kam es dazu, wo doch die Mullahs die Frauen am Kochtopf gesehen haben,“ will die Berlinerin wissen. „So paradox das auch sein mag, aber erst durch die islamischen Kleidervorschriften nach der Revolution war es den Mädchen möglich geworden Schulen und Universitäten zu besuchen. Durch das Gebot der Verschleierung glaubten konservative Eltern ihre Mädchen geschützt“, antwortet unsere Reiseleiterin und verweist auf das neue Buch von Charlotte Wiedemann „Der Neue Iran – Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten“.
Welcome in Iran
„Wann und wo picknicken wir heute?“ erkundigt sich unsere mitreisende Diabetikerin unruhig. „Raststätten gibt es auf der heutigen Strecke nur wenige und diese sind wegen der Feiertage und des Regenwetters sicherlich alle überfüllt“, vermutet Schahab. Kurzerhand weist er den Busfahrer an, die Autobahn zu verlassen, landeinwärts zu fahren und vor einem aufgeschlagenen Zeltlager anzuhalten. Shahab steigt aus und bittet die Zeltbewohner unser Mittagspicknick wegen des schlechten Wetters in einem ihrer Zelte anrichten zu dürfen. Für uns alle unvorstellbar werden wir mit einem herzlichen „Welcome in Iran“ begrüßt.
Nach und nach gesellen sich immer mehr Iraner und Iranerinnen aus den umliegenden Zelten zu uns, bieten uns Tee mit Datteln und persischen Süßigkeiten an. Sie alle brennen darauf etwas über uns und das Leben in Deutschland zu erfahren. Umgekehrt wir natürlich auch. Wir essen und trinken gemeinsam, erzählen, stellen Fragen und fotografieren uns gegenseitig. Erst als die Reiseleitung zum Aufbruch drängt stellen wir fest, wie rasch die Zeit verging. Jetzt heißt es Abschied nehmen.
Während der Weiterfahrt ist es im Bus auffallend ruhig. Ich vermute ich bin nicht die Einzige, die sich nachdenklich die Frage stellt: „Wie würde ich reagieren, würden vor meiner Haustür etwa zwanzig Muslime stehen und um Einlass bitten?“ Mein voller Bauch und die monotonen Motorgeräusche machen mich schläfrig. Gerade bin ich dabei einzuschlafen als Frau Schulte aus dem Buch „Schah-in schah“ vorzulesen beginnt. Es stammt aus der Feder des polnischen Journalisten und Schriftstellers Ryszard Kapuściński und ist eine Reportage über die Mechanismen der Macht. Kapuściński kannte ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Er hat eine ganz eigene Art zu schreiben, suffisant vielleicht? Ja, sehr suffisant sogar.
Inzwischen haben wir die fantastische Bergwelt Luristans verlassen und bewegen uns nun im fruchtbaren Tiefland von Kuhzistan. Diese Provinz liegt im Grenzgebiet zum Irak, am nordöstlichen Ufer des Persischen Golfs. Ihre Hauptstadt ist Ahvaz. Im 5. Jahrhundert nach Christus war diese Provinz ein christliches Zentrum. Heute machen in der Hauptstadt Ahvaz Menschen arabischer Herkunft einen großen Teil der Bevölkerung aus. Landwirtschaftliche wie auch industrielle Nutzung prägen das Bild dieser Region. Im Sommer sei es hier unerträglich heiß, berichtet Shahab. Die Temperaturen liegen dann bei etwa 50 Grad Celsius. Bei einer Hitzewelle zeige das Thermometer auch schon mal 60 Grad und mehr an. Und dennoch ist Wasser in Hülle und Fülle ganzjährig vorhanden. Warum das so ist erfahren wir bei den Wassermühlen von Schuschtar. Hier bekommen wir Einblicke in das ausgeklügelte Wassermanagement der antiken Stadt, das vermutlich bis in das 3. Jahrhundert vor Christus zurück reicht. Doch zuvor halten wir bei der sehenswerten, historischen Brücke am Ortseingang für einen Fotostopp.
Bei Einbruch der Dunkelheit erreichen wir die Mühlen. Es ist schwülwarm geworden und wegen des bevorstehenden Neujahrsfestes ist hier die Hölle los. Die Atmosphäre in der Anlage erinnert mich an Italien. Fehlen nur die Restaurants mit den weiß eingedeckten Tischen, die Musik und der Wein.
Nach 560 zurückgelegten Kilometern treffen wir um 21.30 Uhr in unserem Hotel in Ahvaz ein. Ich bin zu müde, um noch irgendetwas zu essen.
Christa Schwemlein
Erlebt am:
Sonntag, den 19. März 2017
Durch das wilde Luristan – Iran Folge 13
Von Nervensägen und Ignoranten
Sonntag, 19. März 2017 – 7.15 Uhr. Es regnet und es ist kalt. Das Rennen um die beliebten Plätze in den ersten Reihen im Bus gewinnen wieder die Österreicher. Die Schweizer sind säuerlich. Ich biete den beiden meine Sitzreihe im vorderen Drittel des Busses an. Dankend lehnen sie ab. Sie begründen dies mit den direkt über dem Rad befindlichen Plätzen, die für ihre alten Rücken gänzlich ungeeignet seien. Unser Latein- und Geschichtslehrer, der in der Reihe vor mir sitzt, weist sie freundlich auf die freien Plätze hinter dem Beifahrer hin. Doch hier haperts an der Beinfreiheit. Das erstaunt mich. Mit gefühlten 160 und 170 cm sind die beiden nun nicht wirklich groß. „Wie wär’s mit meinem Stammplätzchen in der letzten Reihe“, bietet die Richterin Hilfe an und schwingt sich vergnügt in die Reihe hinter mir. „Ganz hinten, da wird mir meistens schlecht“, antwortet er kleinlaut. Die Berlinerin steht auf und stellt ihren Platz gegenüber der Mitteltür des Busses zur Verfügung. „Danke, das ist lieb. Hier saßen wir zu Beginn der Reise. Die Zugluft ist uns beiden nicht bekommen“, bedauert sie. Während wir alle damit beschäftigt sind die Schweizer für die bevorstehenden 560 Kilometer gut zu betten, schauen die Österreicher unbeteiligt aus dem Fenster.
„Morgen starten wir die Revolution“ kündigt die Richterin hinter mir trocken an. Ich zücke mein Reisetagebuch und schreibe: „Wenn einer eine Reise tut, so kann er …..”
Durch das wilde Luristan
Um 7.30 Uhr sitzt endlich jeder auf einem Platz. Wir verlassen unser Hotel in Kermanschah und fahren Richtung Süden.
Traumstraßen führen uns durch die Provinz Luristan, die im Zentrum des Zagros-Gebirges liegt und deren Hauptstadt Khorramabad ist. Die Einwohner dieser Provinz sind, wie der Name sagt, die Luren. Sie sind Nomaden oder Halbnomaden und führen, allerdings mit sinkender Tendenz, noch das traditionell nomadische Leben ihrer Vorfahren. Derzeit gehören im Iran rund eine Million Menschen nomadischen Kulturen an, unter denen die Bachtiaren eine der größten Volksgruppen bilden. Aufgeschlagene Zeltlager zeugen vom traditionellen Lebensstil dieser Bevölkerungsgruppen.
Unser Fahrt führt parallel zur irakischen Grenze. Gerade will ich das Versäumte von gestern nachholen und mich in das Sasanidenreich einlesen, beginnt unsere Reiseleiterin ein Kapitel der iranischen Geschichte aufzuschlagen, das noch ganz nah ist, der Iran-Irak Krieg. Eineinhalb Jahre nach der iranischen Revolution, im September 1980, griff der Irak unter Sadam Hussein den Iran an. Acht Jahre hatte dieser Krieg gedauert und auf beiden Seiten unzählige Menschenleben gekostet. Er endete 1988 mit einem Waffenstillstand.
„Saddam hatte nicht mit der Ausdauer Khomeinis gerechnet“, erinnere ich mich an die Worte des Iraners, mit dem ich mich am Frankfurter Flughafen zu Beginn unserer Reise unterhalten hatte.“ Letztendlich führte dieser Krieg dazu, die Islamische Republik zu stabilisieren“, meinte er.
Ich selbst habe an diesen Krieg nur vage Erinnerungen. Er fiel in eine Zeit, in der ich für eine schwedische Firma Edelstahlrohre exportierte und meine beiden Söhne das Licht der Welt erblickten.
Während draußen eine abwechslungsreiche Landschaft an uns vorbei zieht, sprechen wir im Bus über die in 1979 ausgerufene Islamische Republik. Was waren eigentlich die Gründe für die Revolution? Wieso wurde die Krone des Schahs gegen den Turban von Khomeini eingetauscht? Warum haben 98 Prozent der Iraner damals für die Verfassung gestimmt? Die Diskussion ist spannend und die Zeit bis zu unserer Teepause in Khorramabad vergeht darüber wie im Flug.
Toilettengespräche
Nach der Pause passieren wir zahlreiche Tunnels, die uns dazwischen immer wieder grandiose Ausblicke in die Zagros Gebirgslandschaft bescheren.
Die Biologin muss dringend zur Toilette, ich auch. An einer Raststätte halten wir an. Wegen Nouruz, dem iranische Neujahrsfest, scheint ganz Iran auf den Beinen. Die Schlange vor der Damentoilette ist lang. Eine iranische Reisegruppe steht vor uns an. Die Frauen tragen alle einen schwarzen Tschador. Mit einem Zipfel des Umhangs schützen sie ihre Nasen vor dem strengen Geruch. Gute Idee. Ich halte mir ebenfalls die Nase zu und frage mich, wie das mit dem langen Tschador auf den nassen und dreckigen Toilette wohl gehen mag, wo es weder Ablagen noch Haken gibt.
Die Iranerin neben mir beobachtet mich. Sie lacht und spricht mich an. Ich erfahre, dass die Gruppe aus Quom kommt, diese Stadt die bedeutendste theologische Ausbildungsstätte und nach Maschhad die zweitheiligste schiitische Pilgerstätte im Iran ist. Auch Khomeini habe dort studiert und später auch gelehrt. Sie erzählt mir, dass Quom in der Mitte des Landes liegt, eine tiefreligiöse Stadt ist und fast alle Frauen dort mit dem Tschador unterwegs sind. In Anbetracht dessen müssen auch Touristinnen das Kopftuch etwas strenger binden, die Arme komplett bedecken und in offenen Schuhen Strümpfe tragen. Auch wenn dies für mich nicht recht zusammen passen würde, so seien iranische Frauen, selbst diese aus Quom, emanzipiert, betont sie in einem für mich gut verständlichen Englisch. Ehe ich mich versehe bin ich umringt von neugierigen Frauen, die alle wissen wollen von wo wir kommen, weshalb wir hier sind und wie wir in Deutschland so leben. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so nette, lustige und lange Gespräche auf einer stinkenden, öffentlichen Toilette geführt. Nach 20 Minuten sitzen die Biologin und ich erleichtert und um eine schöne Erfahrung reicher wieder im Bus.
Christa Schwemlein