20. Februar 2018 von Christa

Durch das wilde Luristan – Iran Folge 13

Von Nervensägen und Ignoranten 

Sonntag, 19. März 2017 – 7.15 Uhr. Es regnet und es ist kalt. Das Rennen um die beliebten Plätze in den ersten Reihen im Bus gewinnen wieder die Österreicher. Die Schweizer sind säuerlich. Ich biete den beiden meine Sitzreihe im vorderen Drittel des Busses an. Dankend lehnen sie ab. Sie begründen dies mit den direkt über dem Rad befindlichen Plätzen, die für ihre alten Rücken gänzlich ungeeignet seien. Unser Latein- und Geschichtslehrer, der in der Reihe vor mir sitzt, weist sie freundlich auf die freien Plätze hinter dem Beifahrer hin. Doch hier haperts an der Beinfreiheit. Das erstaunt mich. Mit gefühlten 160 und 170 cm sind die beiden nun nicht wirklich groß. „Wie wär’s mit meinem Stammplätzchen in der letzten Reihe“, bietet die Richterin Hilfe an und schwingt sich vergnügt in die Reihe hinter mir. „Ganz hinten, da wird mir meistens schlecht“, antwortet er kleinlaut. Die Berlinerin steht auf und stellt ihren Platz gegenüber der Mitteltür des Busses zur Verfügung. „Danke, das ist lieb. Hier saßen wir zu Beginn der Reise. Die Zugluft ist uns beiden nicht bekommen“, bedauert sie. Während wir alle damit beschäftigt sind die Schweizer für die bevorstehenden 560 Kilometer gut zu betten, schauen die Österreicher unbeteiligt aus dem Fenster.

„Morgen starten wir die Revolution“ kündigt die Richterin hinter mir trocken an. Ich zücke mein Reisetagebuch und schreibe: „Wenn einer eine Reise tut, so kann er …..”

Durch das wilde Luristan

Um 7.30 Uhr sitzt endlich jeder auf einem Platz. Wir verlassen unser Hotel in Kermanschah und fahren Richtung Süden.

Abfahrt im Regen von Kermanschah

Traumstraßen führen uns durch die Provinz Luristan, die im Zentrum des Zagros-Gebirges liegt und deren Hauptstadt Khorramabad ist. Die Einwohner dieser Provinz sind, wie der Name sagt, die Luren. Sie sind Nomaden oder Halbnomaden und führen, allerdings mit sinkender Tendenz, noch das traditionell nomadische Leben ihrer Vorfahren. Derzeit gehören im Iran rund eine Million Menschen nomadischen Kulturen an, unter denen die Bachtiaren eine der größten Volksgruppen bilden. Aufgeschlagene Zeltlager zeugen vom traditionellen Lebensstil dieser Bevölkerungsgruppen.

Unser Fahrt führt parallel zur irakischen Grenze. Gerade will ich das Versäumte von gestern nachholen und mich in das Sasanidenreich einlesen, beginnt unsere Reiseleiterin ein Kapitel der iranischen Geschichte aufzuschlagen, das noch ganz nah ist, der Iran-Irak Krieg. Eineinhalb Jahre nach der iranischen Revolution, im September 1980, griff der Irak unter Sadam Hussein den Iran an. Acht Jahre hatte dieser Krieg gedauert und auf beiden Seiten unzählige Menschenleben gekostet. Er endete 1988 mit einem Waffenstillstand.

„Saddam hatte nicht mit der Ausdauer Khomeinis gerechnet“, erinnere ich mich an die Worte des Iraners, mit dem ich mich am Frankfurter Flughafen zu Beginn unserer Reise unterhalten hatte.“ Letztendlich führte dieser Krieg dazu, die Islamische Republik zu stabilisieren“, meinte er.

Ich selbst habe an diesen Krieg nur vage Erinnerungen. Er fiel in eine Zeit, in der ich für eine schwedische Firma Edelstahlrohre exportierte und meine beiden Söhne das Licht der Welt erblickten.

Während draußen eine abwechslungsreiche Landschaft an uns vorbei zieht, sprechen wir im Bus über die in 1979 ausgerufene Islamische Republik. Was waren eigentlich die Gründe für die Revolution? Wieso wurde die Krone des Schahs gegen den Turban von Khomeini eingetauscht? Warum haben 98 Prozent der Iraner damals für die Verfassung gestimmt? Die Diskussion ist spannend und die Zeit bis zu unserer Teepause in Khorramabad vergeht darüber wie im Flug.

Teepause in Khorramabad

Rast in Khorramabad

Toilettengespräche

Nach der Pause passieren wir zahlreiche Tunnels, die uns dazwischen immer wieder grandiose Ausblicke in die Zagros Gebirgslandschaft bescheren.

Fahrt durch das Zagrosgebirge

Durch das Zagrosgebirge

Die Biologin muss dringend zur Toilette, ich auch. An einer Raststätte halten wir an. Wegen Nouruz, dem iranische Neujahrsfest, scheint ganz Iran auf den Beinen. Die Schlange vor der Damentoilette ist lang. Eine iranische Reisegruppe steht vor uns an. Die Frauen tragen alle einen schwarzen Tschador. Mit einem Zipfel des Umhangs schützen sie ihre Nasen vor dem strengen Geruch. Gute Idee. Ich halte mir ebenfalls die Nase zu und frage mich, wie das mit dem langen Tschador auf den nassen und dreckigen Toilette wohl gehen mag, wo es weder Ablagen noch Haken gibt.
Die Iranerin neben mir beobachtet mich. Sie lacht und spricht mich an. Ich erfahre, dass die Gruppe aus Quom kommt, diese Stadt die bedeutendste theologische Ausbildungsstätte und nach Maschhad die zweitheiligste schiitische Pilgerstätte im Iran ist. Auch Khomeini habe dort studiert und später auch gelehrt. Sie erzählt mir, dass Quom in der Mitte des Landes liegt, eine tiefreligiöse Stadt ist und fast alle Frauen dort mit dem Tschador unterwegs sind. In Anbetracht dessen müssen auch Touristinnen das Kopftuch etwas strenger binden, die Arme komplett bedecken und in offenen Schuhen Strümpfe tragen. Auch wenn dies für mich nicht recht zusammen passen würde, so seien iranische Frauen, selbst diese aus Quom, emanzipiert, betont sie in einem für mich gut verständlichen Englisch. Ehe ich mich versehe bin ich umringt von neugierigen Frauen, die alle wissen wollen von wo wir kommen, weshalb wir hier sind und wie wir in Deutschland so leben. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so nette, lustige und lange Gespräche auf einer stinkenden, öffentlichen Toilette geführt. Nach 20 Minuten sitzen die Biologin und ich erleichtert und um eine schöne Erfahrung reicher wieder im Bus.

Christa Schwemlein

Erlebt am:
Sonntag, den 19. März 2017 – Vormittag

Der Beitrag wurde am Dienstag, den 20. Februar 2018 um 17:56 Uhr veröffentlicht und wurde unter Reisen abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.

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