Ich werde vermisst – aus meinem Postkasten
ich hoffe es geht Ihnen gut. Wenn ich so gar nichts Neues auf ihrem Blog lese, dann mache ich mir ein wenig Sorgen.
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Diese und ähnliche Mails füllen derzeit mein E-Mailpostfach. Berührend finde ich, dass derartige Mails nicht nur von Menschen kommen, die ich persönlich kenne, auch meine virtuellen „Freunde“ scheinen sich zu sorgen.
Ich finde es spannend zu beobachten, wie sich das Internet seit meinem Eintritt vor 9 Jahren verändert hat. Damals schrieb mir einer meiner virtuellen Freunde:
Vielleicht bist du jetzt enttäuscht, aber hier im Netz können gar nicht die gleichen Regeln gelten wie im realen Leben. Anonymität und Schriftform haben ihren Preis.
Während zur Zeit meines Interneteintritts viele glaubten die Selbstregulierungskraft reiche im Internet aus, sind heute Bemühungen im Gange, das Internet zu einem Ort der Rechtssicherheit zu machen. Es gibt zwar noch kein eigenes Internetgesetz – habe ich auf meinem ersten Rechtsvortrag erfahren – dennoch ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Hier gelten die gleichen Gesetze wie in der realen Welt auch. Wer sich näher darüber informieren möchte, dem empfehle ich das Buch Social Media und Recht, das ich kürzlich auf unserem Firmenblog vorgestellt habe.
Ein anderer „Freund“ schrieb mir kürzlich:
Zur Zeit, als wir uns kennen lernten, war im Netz alles noch privat und anonym. Leider sehr erfolgreich. Leider, weil es so nicht mehr ging und ich es einstellen musste.
Tja, wer hätt´s gedacht, die Welt wird zum Dorf. Das Netz schafft neue Formen des Zusammenlebens und wird immer mehr auch Lebensraum und so werde ich, wie im ganz realen Leben, auch hier vermisst. Irgendwie ist das eine sehr schöne Erfahrung. Danke allen, die sich nach mir erkundigt haben. Ich melde mich kommende Woche.
War früher Anonymität die Webwährung schlechthin, so setzen sich heute im Netz Werte wie Offenheit, Transparenz, Authentizität und Vertrauen als neue Leitwährung durch. Allerdings würde mich nicht wundern, wenn all die Befürworter der Anonymität ihr Fähnchen nun nach dem Wind hängen und jetzt nach Offenheit und Authentizität schreien.
Tja, und über all diese Veränderungen denke ich derzeit nach. Vieles treibt mich um, arbeitet in und mit mir, würde gerne zu Blog, ist aber noch nicht blogreif. Ein Sprichwort sagt sinngemäß:
Das Leben muss man vorwärts leben, verstehen kann man es nur rückwärts.
Um aber vorwärts leben zu können, muss man oder besser – ich muss – das Vergangene verstanden und verarbeitet haben. Das Leben ist nun mal nicht das Internet, in dem ich alles was mir nicht gefällt wegklicken kann. Erst im Rückblick erschließt sich mir das Ganze und dazu gehört auch die Erfahrung, die ich am Gründonnerstag in unserer kalten Kirche gemacht habe:
Eigentlich kann dich nichts umhauen!
Ihre
Christa Schwemlein
Der Beitrag wurde am Sonntag, den 29. Juli 2012 um 20:25 Uhr veröffentlicht und wurde unter Aus meinem Postkasten, In eigener Sache, Vertrauen, Zitate abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
3 Reaktionen zu “Ich werde vermisst – aus meinem Postkasten”
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Am 1. August 2012 um 22:05 Uhr
Schöner, nachdenklicher Beitrag, liebe Christa!
Meine Erfahrung seit meiner “Netzgeburt” 1996 war und ist anders als die deines Bekannten. Zwar hab ich am Anfang auch mal “mit anderen Identitäten gespielt”, bin z.B. mal als Mann in einen Chat und dergleichen. Aber bald merkte ich, dass es schwer genug ist, im Netz JEMAND zu sein, sprich: EINE Identität zu vermitteln, mit der man sich authentisch fühlt. Und dass es nicht in meinem Interesse ist, meine Beiträge zur Welt anonym/pseudonym zu verbreiten, ganz im Gegenteil.
Ich fühle mich niemals ganz “privat” im Netz – denn IMMER SCHON war alles, was man ins Netz stellte, öffentlich. Nur dass diese Öffentlichkeit damals eben eine andere war als heute, wo nun fast ALLE im Netz sind.
Da mein Erwerbsleben sich entlang am Netzleben entwickelte, gab es für mich auch deshalb keinen Grund, zwischen privat und “beruflich” zu unterscheiden. Leute, die mich da kommuizerend und Webseiten “just for fun” bauend kennen lernten, begannen, mich zu beauftragen, IHRE Seiten zu bauen..- es gab da nichts, was ich zu verbergen gehabt hätte. Sie wollten und wollen mich ja genau wegen alledem, was sie von mir aus dem Web mitbekommen.
Für mich war insofern das Netzleben nie “nur virtuell” – und natürlich auch nicht die Menschen, die sich mir als Person bekannt machten (was MEHR erfordert als nurmal einen Kommentar absetzen oder eine Mail schreiben).
Was mich HEUTE in Sachen Netzöffentlichkeit stört, ist etwas ganz anderes als mein jeweils persönliches Verhältnis zum “mich zeigen”. Solange da niemand anderes rein pfuscht, hat man ja selber die Wahl, was man zeigt und was nicht.
Seit aber Mega-Strukturen wie FB und Google unter Bedingungen des Hausrechts (!) neue “Öffentlichkeiten” schufen, in denen jeder Klick und Schritt absichtsvoll aufgezeichnet wird und zu Profilen zusammen gesetzt werden kann, die “mehr über mich sagen als ich selber weiß” – seitdem wird mir das doch etwas unheimlich. Ich folge deshalb in der Regel den Einladungen nicht, die mich in irgendwelche “Apps” locken wollen, die dann auch wieder Zugriff auf alle meine Daten fordern – es nervt einfach!
Und die Willkürherrschaft dieser neuen Mächte zeigt sich mittlerweile auch immer öfter. Ébenso wie eine neue Form von “Obrigkeitshörigkeit” auf User-Seite, wo ja gerne jede Kritik an FB, Google & Co. mit einem geradezu unterwerfungsgeilen “Musst es ja nicht nutzen!” beantwortet wird.
Na, wie du siehst, hast du mich inspiriert!
Sei herzlich gegrüßt
Claudia
Am 2. August 2012 um 09:53 Uhr
Liebe Claudia,
ganz spontan vielen lieben Dank für deinen Kommentar. Vieles fällt mir dazu ein, das ich allerdings nicht spontan veröffentlichen möchte. Dazu muss ich dann doch erst meinen KOPF befragen.
Was die Inspiration betrifft, so beruht dies auf Gegenseitigkeit. Dein Post “Braucht der Mensch Religion” verfolge ich gespannt und hat in unserem “realen kleinen Kreis” zu lebhaften Diskussionen geführt. Dafür vielen Dank, auch vom Rest der Truppe.
Christa
Am 3. August 2012 um 20:29 Uhr
Liebe Claudia,
das Spiel mit der Identität, ja das ist so eine Sache. Ich kam 2003, also sieben Jahre später als du ins Netz. Auf die Idee hier jemand anderes zu sein als ich in Wirklichkeit bin, kam ich ehrlich gesagt nicht. Für mich war es das Normalste auf der Welt, dass man sich in einem Forum trifft, um sich auszutauschen und um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. In meinem Fall abnehmen. Ja ich stehe dazu, ich war so naiv und manchmal bin ich es noch immer. Ich glaubte auch lange Zeit an „Hanghühner“. Aber das ist ein anderer Schwank über den wir bei Gelegenheit mal lachen.
Ich denke wir sind uns einig. Auch im Netz wird man nur dann langfristig Geschäfte machen können, wenn man transparent, authentisch und glaubwürdig auftritt und … fleißig ist. Wie im realen Leben halt auch. Von nix kommt nix – einige Ausnahmen mögen diesen Spruch widerlegen. Alles andere, so habe ich es in meiner langjährigen Berufspraxis erlebt, ist nur von kurzer Dauer. In den meisten, ach eigentlich in allen mir bekannten Fällen, kam nach der Pleite das Finanzamt und der gesamte Reichtum war ratzfatz weg. Ich denke, was für die zwischenmenschliche Kommunikation gilt, trifft auch auf die Unternehmenskommunikation zu.
Ob das zu deiner Zeit mit der Netzöffentlichkeit viel anders war als heute? Anders vielleicht, Profile wurden doch schon immer erstellt. Das Spiel mit der vorgetäuschten Identität, um Menschen etwas zu verkaufen, ist gesetzeswidrig. Und es ist gut, dass sich heute so viele Menschen dafür einsetzen, dass im Netz dieselben Regeln gelten wie im normalen Leben auch. Bei dem Stichwort “gefakte” Nutzermeinungen fällt mir meine Kollegin ein, der man unter dem Deckmantel eines „Nicks“ nicht ungefährliche Abnehmmittel verkaufen wollte. Weißt du über was ich sehr oft nachdenke? Hätte meine Arbeitskollegin aufgrund dieser Medikamente ein behindertes Kind zur Welt gebracht, dann hätten sich hinterher bestimmt alle die Mäuler zerrissen, es wäre gebloggt, getwittert und gefacebooked worden, dann wenn’s zu spät ist. Das Spiel mit der vorgetäuschten Identität, um Leute zu „verarschen“, wie es eine Bekannte von mir betrieben hat um der Langeweile ihrer Ehe zu entfliehen, ist arm.
Dennoch bin ich nicht grundsätzlich gegen Anonymität. Ich kann mir vorstellen, dass z.B. in einer seriösen E-Mail- oder Chatberatung die Anonymität durchaus Sinn macht. Manch einer traut sich erst im Schutz der Anonymität fremde Hilfe oder Unterstützung zu suchen. Durch die sichere Distanz kann eine andere Form der Nähe und der Offenheit entstehen wie im direkten Gegenüber. Sie schützt sowohl den Ratsuchenden als auch den Berater.
So, und jetzt will ich mir mal Gedanken darüber machen, wie das mit dem Paradies weitergegangen wäre, wenn „Eva“ nicht gewesen wäre. Irgendwie gefällt mir diese alte Geschichte so nicht mehr. Mich stört, dass Eva immer als die böse Verführerin dargestellt wird und der Mann die Verantwortung für seine eigene Entscheidung der Frau in die Schuhe schiebt.
Schönes Wochenende und liebe Grüße nach Berlin
Christa