Herzschrittmacher
„Warum lachst du?“ frage ich meinen Mann. „Ich musste gerade daran denken als unser ‚Großer’ vor Jahren hier anrief. Weißt du noch?“
„Klar weiß ich das noch. Wie könnte ich das je vergessen. Es war unser letzter Abend und wir saßen, wie heute, gerade beim Abendessen. Wir müssen uns nicht sorgen, teilte er uns mit. Die Feuerwehr meine, es sei weiter nichts Schlimmes passiert. Der beißende Geruch in der Wohnung sei nach ein paar Tagen verschwunden. Und dann war die Verbindung für den Rest des Abends unterbrochen. Ja, das weiß ich noch.“ Wir lachen und prosten uns zu.
Nach dem buchstäblich ins Wasser gefallenen Frühling kam das Wetter zum Glück ja doch noch in die Gänge. Der Sommer zeigt sich inzwischen von seiner schönsten Seite. Grund genug für eine spontane Auszeit im Schwarzwald. Wir sitzen wie damals beim Abendessen, genießen das Essen und den Wein und graben unter dem funkelnden Sternenhimmel alte Geschichten aus. „Das erste Mal…., weißt du noch?“
Wie lange mag es wohl zurückliegen? War es vor oder nach dem Studium? Oder vielleicht während…. ? Nein, ich erinnere mich nicht mehr genau. Woran ich mich jedoch sehr lebendig erinnere sind meine Gefühle. Ich kam mir vor wie Julia Roberts in ihrer berühmten Rolle „Pretty Woman“: Diese vielen verschiedenen Gläser; die Unmengen an Besteck, alles akkurat auf einem Besteckbänkchen angeordnet; die übergroßen silbernen Glocken, unter denen sich unsere Gerichte verbargen; um uns herum eine Schar von Kellnern, die uns mit einem „sehr gerne“ jeden Wunsch erfüllten.
Aperitif und Digestif waren zum damaligen Zeitpunkt im wahrsten Sinne Fremdworte für mich. Mit unseren verwaschenen Jeans, den Wanderschuhen und den blauen Rucksäcken haben wir so gar nicht zwischen all die gut gekleideten und wesentlich älteren Gäste gepasst. Am liebsten hätte ich mir eine Tarnkappe übergestülpt, um unbemerkt das Lokal verlassen zu können. Doch es war zu spät. Wir hatten bestellt. Es gab kein Zurück.
Trotz unseres anderen Aussehens wurden wir zu meiner Überraschung sehr aufmerksam und höflich bedient. Nach dem Essen drehte der Hausherr seine Runde. Er kam auch an unseren Tisch und stellte allerhand Fragen: Woher wir kämen? Ob wir auf der Durchreise oder für einen längeren Urlaub hier in der Gegend seien? Wenn ja, wie lange? Wo wir untergebracht wären und wie wir auf sein Restaurant aufmerksam wurden? Er war charmant und machte auf mich einen väterlichen Eindruck, so dass ich ihm vor lauter Verlegenheit innerhalb kürzester Zeit mein ganzes junges Leben erzählte. Ich gestand ihm, dass es mir unendlich peinlich sei zwischen all den reichen Leuten zu sitzen. Ich hatte redlich Mühe, meine Tränen zu unterdrücken. Nebenbei muss ich wohl trotzig bemerkt haben, dass auch ich irgendwann einmal in so einem vornehmen Hotel Urlaub machen werde. An den genauen Wortlaut kann ich mich nicht gut erinnern, besser jedoch an das Durcheinander meiner Gefühle, die mir letztendlich doch die Tränen in die Augen trieben. Er setzte sich zu uns an den Tisch und wir unterhielten uns noch eine lange Weile. Ob jemand wirklich reich sei, das könne man nicht an Äußerlichkeiten, wie Kleidung, Schmuck, Auto oder Worten festmachen, tröstete er mich. Und wer immer mir den Floh ins Ohr gesetzt habe, man müsse in gewisse Kreise hineingeboren sein, um in einem Haus wie dem seinen Ferien verbringen zu können, der irre. Niemand ist ein Niemand. Jeder von uns ist Wer und hat zu jeder Zeit die Möglichkeit etwas aus seinem Leben zu machen. Vieles von unserem Gespräch habe ich vergessen aber seine Abschiedsworte sind mir Wort für Wort in Erinnerung und ein bisschen zu einem Lebensmotto geworden:
„Wenn Sie etwas WIRKLICH wollen, dann wird es Ihnen auch gelingen. Sollte es Ihr ernsthafter Wunsch sein, einmal bei uns Ihre Ferien zu verbringen, dann werden Sie alles daran setzten, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.“
„Du siehst, ich weiß es noch“ antwortete ich meinem Mann. Und fast wie damals haben wir beide mit den Tränen zu kämpfen. Es folgten noch viele „Weißt du noch“ an diesem lauen Sommerabend.
Vom Leben und dem gemeinsamen Lebensweg erzählen, noch einmal weit ausholen und längst verloren geglaubte Geschichten wieder ausgraben, dieses „Weißt du noch“ ist der Herzschrittmacher in einer langjährigen Beziehung.
Mit besten Grüßen aus dem Schwarzwald
Christa Schwemlein
Der Beitrag wurde am Dienstag, den 23. Juli 2013 um 22:29 Uhr veröffentlicht und wurde unter Glück, Herz und Verstand, Nur so..., Zeit abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
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