Von Teppichen und Teppichhändlern – Ostanatolien 08
Wie schön, heute dürfen wir eine halbe Stunde länger schlafen. Wir starten erst um 8.30 Uhr und da wir in diesem schönen Hotel zwei Nächte verbringen, müssen auch keine Koffer vor die Tür. Bleibt also richtig viel Zeit für ein ausgiebiges Frühstück. So langsam vermisse ich meinen geliebten Mohrbacher Kaffee. Deshalb versuche ich es heute mit Tee. Ein freundlicher Kellner erklärt mir die Zubereitung. Teekochen funktioniert hier nämlich anders als bei uns. Auf einer Warmhalteplatte stehen zwei Kannen übereinander. In der oberen Kanne werden die Teeblätter aufgebrüht, die vom Wasserdampf der unteren Kanne erhitzt wird. Man gießt sich, je nach Geschmack, etwas von dem warmen Sud ins Glas und füllt diesen mit heißem Wasser auf. Getrunken wird der Tee mit Zucker, selten mit Zitrone doch niemals mit Milch.
Für Teppiche führen alle Wege in der Osttürkei nach Van, so heißt es. So steht der Besuch eines Teppichzentrums auch für uns auf dem Programm. Dort werden wir vom Inhaber des angeblichen Familienbetriebes freundlich empfangen und in die Geheimnisse der Knüpf- und Webkunst eingeweiht. Ich bin erstaunt. Dieser Mann ist rhetorisch perfekt geschult, spricht besser Deutsch als ich und steht wie aus dem Ei gepellt vor uns. Das hellblaue Hemd und die anthrazitfarbene Hose sind aus feinstem Tuch, der Gürtel aus edlem braunen Leder, ebenso die auf Hochglanz polierten Schuhe. Er informiert uns, dass sie hier auf Kelims, das sind gewebte Stücke, spezialisiert sind und an 1.500 Stühlen weben.
Um fehlerhafte Arbeiten zu vermeiden gibt es in diesem Unternehmen weder Heim- noch Kinderarbeit. Hier, wo man teilweise noch mit den alten Traditionen und Sitten lebe, haben Weberinnen einen weitaus besseren Stand als andere Frauen. Sie erhalten zum Beispiel eine Ausbildung, einen Monatslohn von ungefähr 250 – 300 Euro und sind auch krankenversichert. Nach diesem kurzen Einblick in das soziale Engagement des Unternehmens macht er uns mit den Eigenschaften vertraut, die einen besonders guten Teppich ausmachen. Danach gibt er seinen Mitarbeitern, die ebenfalls alle sehr gut deutsch sprechen, die Anweisung uns einen Tee zu reichen. Im Anschluss daran werden wir in einen separaten Raum gebeten, wo uns die Mitarbeiter die edlen Stücke gekonnt präsentieren – eines schöner als das andere. Doch, das meine ich wirklich ernst. Mir gefallen die ausgefallenen Muster, die satten Farben und ich weiß, da ich in jungen Jahren selbst gewebt und geknüpft habe, wieviele Stunden Arbeit in einem fertigen Stück stecken.
Im Bus bringt es unser „Dr. Dr“ auf den Punkt: „Erst kommt die soziale Ader, danach die Praxis, dann ein Tee, darauf folgt die Präsentation und am Ende kann man froh sein, den Laden ohne Teppich verlassen zu können.“ Erst jetzt verrät er uns, dass er während seiner Rundreise durch die Westtürkei diesen ehrlichen und einzig wahren Teppichhändler bereits erlebt und dieser dort haargenau das Gleiche erzählt habe. Puh, nach dieser Offenbarung brauch’ ich erst mal eine Pause. Bis dann.
Christa Schwemlein
Kleingedrucktes:
Erlebt am Samstagvormittag, den 12. Oktober 2013.
Der Beitrag wurde am Montag, den 4. August 2014 um 20:00 Uhr veröffentlicht und wurde unter Reisen abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
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