Kleines WM-Finale auf der AIDAluna – Hans Güth berichtet
Samstag, 10. Juli 2010
3. Seetag. Auf dem Weg nach Akureyri, Wetter wolkig, leicht regnerisch, 10 Grad Außentemperatur, aktuelle Etappe: 1056 Seemeilen (1956 km) bis Akureyri.
Wir schlafen bis 10.30 Uhr aus. Doch dies sollte sich später als Trugschluss erweisen, denn wir haben vergessen, die Uhr umzustellen (-1 GMT) und jetzt das Frühstück verpasst. Also nehmen wir unseren Kaffee plus zwei kleine Croissants im Café Mare.
Der freundliche Philippino erklärt uns, wie das AIDA-Personal rekrutiert wird: Drei Interviews, zwei harte Schulungen mit Befähigungszeugnis, keine leichte Geschichte. Nun wundert es uns nicht mehr, dass alle Mitarbeiter echt „vom Fach“ sind.
Nebenbei bemerkt, die Ausbildung dieser Leute muss rigoros gewesen sein, denn ich muss gestehen, der Service lässt wirklich keine Wünsche offen. Angefangen bei der „Cabin Maid“ bis hin zum Sommelier, vom Kellner bis zum Guest-Relations-Manager, vom einfachen Matrosen, der seine Arbeit unterbricht, um dir einen Liegestuhl zu holen: Ein professionellerer und kultivierterer Umgang mit den Passagieren ist einfach nicht denkbar, und ich möchte bezweifeln, dass es auf dieser Welt allzu viele Linien gibt, die diesen Standard auch nur annähernd erreichen.
Auch das fällt uns auf: Neben Feuer an Bord herrscht panische Angst vor einem Virus. Verständlicherweise ist das Schiff krankenhausmäßig, antiseptisch sauber. Ständig wird geputzt, wenn Du vom Schiff gehst, Hände desinfizieren, wenn Du aufs Schiff gehst, Hände desinfizieren und täglich Hände waschen, Hände waschen, Hände wa…
Beim Mittagessen treffen wir das Ehepaar aus NRW, das mit uns beim Einchecken in Hamburg geschwitzt hat. Die beiden haben sich gestern nicht für den Ausflug zum Nordkap entschieden, sondern suchten ein paar Kilometer vom Felsen entfernt den ultimativen Kick: Im offenen Schlauchboot zur Königskrabben-Safari ins Eismeer. Mit frisch gefangenen Krabben gab’s ein rustikales Festmahl im Lavvo, dem mit Rentierfellen ausgelegten Zelt der samischen Ureinwohner.
Nach dem Lunch der übliche Gang zum Foto-Shop. Unsere Sammlung und das Bordkonto wachsen unaufhörlich. Ein paar Meter weiter beginnt im Theatrium die „nautische Stunde“, wo wir vom Kapitän und seinen Offizieren alles über den Maschinenraum, die Kommandobrücke und weitere „Betriebsgeheimnisse“ unseres Schiffs erfahren. Dass im Notfall der Kahn in einer Stunde evakuiert ist, der Bremsweg bei normaler Marschfahrt von 18 Knoten 0,9 nautische Meilen beträgt, dass ein Blitzschlag nicht gefährlich ist, auch ein Kapitän mal seekrank wird und die luna wie alle Megaschiffe im Hafen ohne Bugsierschlepper zurecht kommt, da sie über „Heck- und Bugstrahlruder“ verfügt, letztere auch „Kopfschrauben“ genannt, was für mich aber eher nach Olympia klingt.
Endlich werde auch ich meine Frage nach der Delle im Schiff los. Ich merke, die Frage ist dem 1.Offizier peinlich, aber der arme Teufel muss auf Weisung seines präsidiale Würde verstrahlenden Kapitäns antworten. Tja, das wäre halt so, als wenn ich eine Delle in mein Auto fahren würde. Mach ich nicht, antworte ich und bringe ihn in weiteren Erklärungsnotstand. Die Diskussion ist mit der lapidaren Antwort, wir sollen uns keine Sorgen machen, beendet.
Das kleine WM-Finale Deutschland vs. Uruguay kommt näher. Ich reserviere uns zwei Plätze. Ein weiterer Vortrag von Herrn Lektor Trobitzsch über Island, seine Vulkane und Geysire stimmen uns auf „die Hölle des Nordens“ ein. Mein Schatz stürmt die Sushi-Bar auf Deck 10, ich kompensiere Fisch mit zwei Ipanema und einer Flasche meiner geliebten Erdnüsse. Das mit den Erdnüssen macht die AIDA übrigens clever, die Peanuts verursachen nämlich höllischen Durst. Alles klar?
Bei der Nationalhymne stehen die meisten wieder auf und singen mit, einige bleiben dagegen sitzen und schauen blöd. Egal, beim 1:0 durch Thomas Müller sind wir wieder ein Fußballvolk. Mein Tipp steht, denn 1970 haben wir schon einmal im Spiel um den 3.Platz gegen die Urus mit 1:0 gewonnen (Torschütze: Wolfgang Overath). Doch als in der 28. Minute Cavani den überraschenden Ausgleich erzielt, werden die Karten neu gemischt.
Nach dem Seitenwechsel werden die Hellblauen richtig frech und bringen unser Tor ein ums andere Mal in Gefahr. Und tatsächlich schafft es dieser Teufelskerl Forlan, die deutsche Fußballseele zu quälen und netzt zum 2:1 (51.) ein. Womit auch meine Sympathie für ihn perdu ist.
Aber es kann nicht sein, was nicht sein darf. Marcell Jansen gleicht fünf Minuten später zum 2:2 aus. Und in der 82. Minute der verdiente Lohn für ein tolles Turnier: Sami Khedira köpft zum 3:2 ein – und das Schiff steht Kopf! Nach der WM 2006 erneut der 3.Platz für die deutsche Nationalmannschaft. Ein versöhnliches Ende.
Für die Fußballfans aber noch nicht. Die kämpfen an den verschiedenen Bars um die besten Plätze und feiern. Auf dem Sonnendeck steigt die große Fußball-Pool-Party. Mich zieht’s ins Casino, mein Schatz will unbedingt mal schauen, ob im AIDA-Shop die günstige Tasche noch zu haben ist. Morgen muss ich ihr wohl den Zugang zur Einkaufsmeile sperren.
Der Blackjack-Tisch ist verwaist, ich wechsle 100 Euro und quäle mich eine Viertelstunde mit der wortkargen russischen Dealerin ab. Dann füllt sich langsam der Tisch zu einer angenehmen Runde – und wird schlagartig wieder leer! Nach einem groben Fehler der Dealerin will sie die drei Euro für einen Mitspieler nicht auszahlen. Auch der herbeigerufene „Saalmanager“ ist auf die paar Euro geil und entscheidet gegen den Spieler. Ich lasse mich auf eine Diskussion mit dem Wichtigtuer ein, der aber bei seiner unkulanten Entscheidung bleibt. Ich gebe auf und erkenne, dass er nicht unbedingt das hellste Licht am intellektuellen Kronleuchter der AIDA ist. Als wir jedoch unter dem Beifall der Zuschauer gemeinsam solidarisch den Tisch verlassen, schaut er ziemlich angefressen.
Später erfahre ich, dass der russische Casino-Betreiber Franchise-Nehmer ist und zu einer österreichischen Glücksspielfirma gehört, die an die AIDA wöchentliche Nutzungsgebühren plus einen nicht näher genannten Gewinnanteil überweist. Dafür darf diese Firma ihre atemberaubenden Dealerinnen und Vier-Deck-Schlitten auf Passagiere hetzen, denen die Regeln von Blackjack und Ocean Stud Poker gerade einmal aus einem „Lehrvideo“ bekannt sind, das Tag und Nacht auf einem der TV-Kanäle läuft.
Wir genießen noch ein wenig das AIDA-Nightlife in der Disco und stellen erschüttert fest, dass die Jungen und Hippen unter den Kreuzfahrern genau auf die Disco-Sülze stehen, die wir, die in den Siebzigern jung und hip waren, immer verabscheut haben.
Weit nach Mitternacht (00.45 Uhr) fallen wir todmüde in die Betten. Nicht, ohne uns noch einmal durch die Spätnachrichten informieren zu lassen, was auf der Welt los war. Es fällt uns auf, dass Norwegen auch heute in den News fehlt, wie an allen anderen Tagen im Jahr auch. Keine Nachrichten sind gute Nachrichten.
Wir sagen „Tak“ (danke) für einen schönen Tag und wünschen uns eine gute Nacht.
Ihr Reiseleiter
Hans
Der Beitrag wurde am Dienstag, den 22. Februar 2011 um 19:52 Uhr veröffentlicht und wurde unter Reisen abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
Eine Reaktion zu “Kleines WM-Finale auf der AIDAluna – Hans Güth berichtet”
Einen Kommentar schreiben
du mußt angemeldet sein, um kommentieren zu können.
Am 4. März 2011 um 23:42 Uhr
[...] Kleines WM-Finale auf der AIDAluna Ein Schiff steht Kopf! In der 82. Minute der verdiente Lohn für ein tolles Turnier. [...]