Literatur und Genuss – Ostanatolien 06
Die Provinzstadt Kars, unser heutiges Reiseziel, liegt am Ende der türkischen Welt, unweit der georgischen und armenischen Grenze. 290 Kilometer haben wir bis dahin auf der Straße, die den Orient mit dem Okzident verbindet, zurückzulegen. Das Wetter ist heute traumhaft schön und es soll allmählich wärmer werden.
Im Bus habe ich einen Platz in der vorderen Hälfte bekommen, den ich jedoch dem Herrn mit den freundlichen Augen, der mir in Frankfurt aufgefallen war, überlasse. Übrigens, er hat nicht nur freundliche Augen, er ist auch freundlich. 81 Jahre ist er alt, verwitwet und in Zürich zu Hause. So, das wissen wir jetzt auch.
Während der Fahrt sprechen wir über die Stellung der Frau in der Türkei. Wieder kommt Atatürk, der große Held des Fortschritts, ins Spiel. Seine umfangreichen Reformen gewährten den türkischen Frauen neue Rechte, wie z. B. das aktive und passive Wahlrecht. Seit 1934 dürfen türkische Frauen wählen und gewählt werden. Was diesen Punkt betrifft war die Türkei damals weitaus fortschrittlicher als einige andere europäische Staaten.
Unser Weg führt uns durch das Arastal. Hier bewundern und fotografieren wir die von den Seldschuken erbaute 220 Meter lange Cobandede-Brücke. Ich habe richtig Mühe einen Schnappschuss von der Brücke machen zu können. Egal wo ich auch stehe, ständig ist mir das Schweizer Ehepaar mit ihren semiprofessionellen Spiegelreflexkameras vor der Nase. Noch trage ich es, im Gegensatz zu einigen anderen Hobbyfotografen, mit Humor.
Während der Weiterfahrt nach Kars macht uns Süheyl mit dem Schriftsteller und Sänger „Zülfü Livaneli“ bekannt. “Glückseligkeit“ , eines seiner Bücher, habe ich nach meiner Rückkehr geradezu verschlungen. Es handelt von einem 15-jährigen Mädchen, das von ihrem Onkel vergewaltigt wird. Ihr sogenanntes Vergehen bringt Schande über die ostanatolische Sippe und deshalb muss sie bestraft werden. Ihr Cousin erhält den Auftrag, sie in der anonymen Großstadt Istanbul umzubringen. Dort angekommen, treffen die jungen Leute auf eine ganz andere Türkei…. Ein berührender Roman!
Inzwischen hat sich das Landschaftsbild wieder geändert. Es gleicht dem von Kappadokien, das ich nur von Postkarten kenne und mit bunten Heißluftballons in Verbindung bringe.
Gegen Mittag erreichen wir unser Hotel in Kars, ein Mittelklassehotel, wo es mit der Sauberkeit der Zimmer nicht so genau genommen wird. Es sollte jedem Reisenden, der sich in diese Gegend verirrt, klar sein, dass man hier nicht die gleichen Komfortansprüche stellen kann, wie an der Mittelmeerküste.
Kars
Die Stadt bietet ein ärmliches Bild und dürfte bis auf Erscheinen von Orhan Pamuks Buch “Schnee“ nur wenigen bekannt gewesen sein. Die Meinungen über dieses Buch gehen auseinander. Mir hat`s gefallen. Geschildert wird die Reise eines Schriftstellers nach Kars. Er will dort über die Selbstmorde muslimischer Mädchen berichten. In Wirklichkeit sucht er nach seiner Jugendliebe, um sie für ein gemeinsames Leben in Deutschland zu gewinnen.
Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass Kars früher mehrmals russisch war und tatsächlich erinnert so manches Haus an die russische Vergangenheit. Ansonsten ist Kars Ausgangspunkt für die Besichtigung der 45 km entfernten altarmenischen Hauptstadt Ani, eine der schönsten Ruinenstätten der Türkei. Doch bevor wir uns dahin auf den Weg machen schlage ich vor, wir machen eine Pause. Was halten Sie von „Cağ kebabı“, eine Kebabvariante, bei der der Lammspieß nicht horizontal, sondern vertikal über dem offenen Feuer geröstet und auf kleinen Spießen serviert wird?
Sie sind Vegetarier? Dann sind Sie in Kars goldrichtig. „Kashkawal-Käse“ mit Honig zählt zu den Spezialitäten von Kars.
Guten Appetit und bis gleich!
Christa Schwemlein
Kleingedrucktes:
Erlebt am Donnerstag, den 10. Oktober 2013.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 25. Juli 2014 um 23:03 Uhr veröffentlicht und wurde unter Bücher, Reisen abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
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