Das Tagebuch – Zwillinge
Kurz vor Mitternach schließt sie ihr Tagebuch, packt das Schreibzeug weg und schenkt sich zum Ausklang ihres „Tages“ ein Glas Rotwein ein. Das Buch kommt zurück ins Regal zu dem Haufen anderer Tagebücher. Es ist schon einiges an Geschichte zusammengekommen – ihrer Geschichte.
Sie langt nach dem abgegriffenen Heft mit dem grünen Umschlag, schlägt es auf und muss lachen. Ausgerechnet diese alte Geschichte, die sie schon so oft zum Besten gaben, ihre Freundin und sie, und die immer wieder bei jeder Feierlichkeit zu vorgerückter Stunde erzählt werden muss:
***
Mittwoch, 5. Oktober 2005
Mein Mann will mal wieder mit dem Rauchen aufhören. Es sei ihm zu teuer, sagt er. Ich begrüße diesen Schritt, werde ihn jedoch nicht drängen. Ich habe ihm von der „Nur heute Methode“ der AA erzählt, mit der ich mir damals das Rauchen abgewöhnte. Oh Gott, wie lange ist das schon her!
Claudia war damals mit den Zwillingen schwanger. Bei den beiden Großen hatte sie während der Schwangerschaft nicht geraucht, jedoch nach der Stillzeit, genau wie ich, sofort wieder angefangen. Die Zigaretten haben uns gut geschmeckt; besonders in Gesellschaft und in Verbindung mit Alkohol. Ach, und wie oft haben wir bis in die frühen Morgenstunden nur noch eine Allerletzte geraucht. Schön war die Zeit!
Die Zwillinge seien ihre letzte Chance Nichtraucher zu werden, meinte sie. Ich wollte sie dabei unterstützen, tat es auch, obwohl es mir furchtbar schwer fiel.
Claudia kenne ich, seit ich denken kann. Wir wohnten in derselben Straße und hatten den gleichen Schulweg. Wir waren befreundet, zerstritten und wieder befreundet. Wir verloren uns aus den Augen und fanden uns wieder.
Sie wünschte sich ein drittes Kind, genauer gesagt ein Mädchen. Meine Familienplanung war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Mit 36 Jahren fühlte ich mich zu alt, um noch einmal von vorne anzufangen.
Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag, als der Arzt ihr Zwillinge bestätigte. An dem verabredeten Treffpunkt im Park, wo ich mit den Kindern auf sie wartete, standen ihr Tränen in den Augen. Eine Welt brach zusammen und sie glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Verzweiflung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Abtreibung? Zwillinge passten so gar nicht in ihr Lebenskonzept. Vier Kinder? Wie sollte das gehen?
Mit einem Schlag war alles zu klein: die Wohnung, das Auto und das Budget. Sie hatte das Gefühl plötzlich am Hungertuch nagen zu müssen, sich keinen Urlaub und auch sonst nichts mehr leisten zu können.
In den darauf folgenden Wochen war sie fast täglich zum Einkaufen in der Stadt unterwegs. Die Hamsterkäufe für die Zeit mit den Zwillingen nahmen kein Ende. Kleider und Schuhe für die Großen, für sich und für die ungeborenen Zwillinge – tütenweise und auf Vorrat. Nie mehr danach waren wir so oft gemeinsam im Kino und zum Essen beim Italiener wie in jener Zeit. Ihre größte Sorge aber galt ihrem Beruf. Mit vier Kindern weiterarbeiten – unvorstellbar.
Nun, die Zwillinge kamen. Die Familie zog um ins eigene Haus. Ein Auto wurde verkauft und mit dem Erlös ein gebrauchter, roter VW–Bus erworben. Den Job hängte sie nicht an den Nagel. Ihr Arbeitgeber bot ihr die Möglichkeit, die ersten Jahre zu Hause zu arbeiten. Somit blieb sie beruflich am Ball.
Mit drei Jahren kamen die Zwillinge in den Kindergarten. Ab nun ging sie am Vormittag einer Teilzeitbeschäftigung nach. Allerdings wäre dies ohne die Unterstützung von Oma und Opa, die die Kinder in den Kindergarten brachten und auch wieder abholten, nicht möglich gewesen. Die Kindergartenöffnungszeiten waren in jenen Tagen nicht so flexibel wie heute. In Urlaub sind sie auch gefahren.
Lange Zeit haben wir uns das Zigarettengeld konsequent zurückgelegt. Mit diesem Geld konnten wir uns immer mal wieder ein „Extra“ finanzieren.
***
Inzwischen ist es weit nach Mitternacht und in der Wohnung ist es frisch geworden. Sie schließt das Heft, trinkt den letzten Schluck Rotwein und während sie das Heft wieder ins Regal legt denkt sie bei sich:
Nichts dauert ewig, auch schlechte Zeiten nicht!
© Christa Schwemlein
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Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 23. April 2008 um 00:50 Uhr veröffentlicht und wurde unter Das Tagebuch, Eigene Gedanken zu..., Geschichten abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
2 Reaktionen zu “Das Tagebuch – Zwillinge”
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Am 25. April 2008 um 22:38 Uhr
CHRISTA,
ich liebe DICH, weil du mir aus der SEELE sprichst.
Deswegen, DAFÜR und weil DU so bist, wie DU so bist,wie DU bist ! Doch vor allen Dingen, weil wir zusammen passen, wie die FAUST auf“s AUGE und das ALLEs in Name der LIEBE, und unseres GLAUBENS !!! 3-Einigkeit.
Ich danke DIR, Manuela
Am 26. April 2008 um 06:42 Uhr
Oh Manuela, du warst aber gut drauf gestern Abend. Wie die FAUST aufs AUGE – stimmt, muss ich dir Recht geben. Aber nur äußerlich
Ich denke du wolltest keine Masken tragen? Jetzt bist du doch “Inkognito” unterwegs *LACH*
Lieben Gruß und ich freue mich sehr auf die “Demaskierung”
Christa