Einmischen oder raushalten?
Auto oder Straßenbahn? Ich hatte nur ein paar Kleinigkeiten zu besorgen und entschied mich deshalb für die Bahn. Am „Stich“, der Endhaltestelle in Sandhofen, stieg ich ein. Es waren, obwohl ich heute sehr früh unterwegs war, bereits viele Menschen auf den Beinen. Ich hatte Glück und bekam noch einen Sitzplatz. Mir direkt gegenüber, in Fahrtrichtung, saß ein älterer Herr mit Stock und Hut, daneben eine Frau, etwa im gleichen Alter. Der Platz neben mir blieb unbesetzt.
Ein paar Haltestellen weiter, die Bahn war inzwischen gut voll, stieg eine junge Mutter mit ihrem etwa 9 jährigen Sohn zu. Sie nahm neben mir Platz. Der Sohn stand kaugummikauend daneben. Bald fing der Junior zu maulen an, er sei müde und wolle auch sitzen. Er habe auch ein Recht auf einen Sitzplatz. Nachdem er keine Ruhe gab und immer lauter wurde, gab die Mutter ihren Platz frei. Grinsend ließ er sich in den Sitz fallen. Ich hätte platzen können, ehrlich, als ich in das triumphierende Gesicht des Jungen sah.
Es dauerte nicht lange, da forderte der Kleine die ihm gegenüber sitzende Frau auf, mit ihm den Platz zu tauschen. Ja, Sie haben richtig gelesen. Er forderte auf, er bat nicht. Freundlich erklärte sie, sie könne nur in Fahrtrichtung sitzen. Ihr werde sonst schlecht. Der Kleine blieb unbeeindruckt. Er fing an die Frau zu beschimpfen. Diese blieb zunächst ruhig, selbst dann noch als ihr das Kind die Zunge rausstreckte. Dennoch konnte ich eine gewisse Ratlosigkeit spüren. Keiner der Mitfahrenden sagte etwas – auch ich nicht. Alle schauten wir hoffnungsvoll auf die Mutter. Aber diese tat, als ginge sie das Alles nichts an. Die Situation spitzte sich zu und gipfelte darin, dass der Rotzbengel der Frau ins Gesicht spuckte und diese ihm daraufhin eine schallende Ohrfeige verpasste.
Jetzt hätten Sie mal die Mutter hören sollen. Körperverletzung sei das und sie werde den Vorfall anzeigen. Ich kann den Wortschwall gar nicht vollständig wiedergeben. Auf jeden Fall war die Empörung groß. Beim Aussteigen bat sie mich um meine Adresse, sie würde mich gerne als Zeugin benennen.
“Als Zeugin? Für was? Tut mir Leid, ich habe nichts gesehen.“
Sich einmischen oder sich raushalten – ein schwieriges, aber auch ein spannendes Thema.
Christa Schwemlein
P.S.
Ich denke auch diese Erzählung, von der Hölle, dem Teufel und den Sündern, wird Ihnen gefallen. Viel Vergnügen!
Der Beitrag wurde am Samstag, den 5. Dezember 2009 um 20:03 Uhr veröffentlicht und wurde unter Nur so... abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
7 Reaktionen zu “Einmischen oder raushalten?”
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Am 6. Dezember 2009 um 15:31 Uhr
Die Frau, die von dem im wahrsten Sinne des Wortes “Rotzbengel” angespuckt wurde, hat genau das Richtige gemacht: Als Reflex eine schallende Ohrfeige.
Und du hast auch genau das Richtige gemacht: Diese Ohrfeige nicht gesehen. Und ich bin überzeugt, dass selbst ein Staatsanwalt für einen Reflex nach Anspucken in Form einer schallenden Ohrfeige Verständnis hätte und die Strafanzeige niederschlagen würde.
Übrigens, Christa, sind wir der gleiche Jahrgang und damals hätte es von der Mutter gleich die zweite Ohrfeige hinterher gegeben. Doch heute reglementiert ja der Staat die Erziehung, und was dabei rauskommt, hört und liest man ja täglich.
Am 6. Dezember 2009 um 17:34 Uhr
Gott sei Dank gibt es auch noch andere Beispiele. Das Gegenstück zu dieser Episode erlebte ich circa 4 Stunden später in Mannheim’s Innenstadt.
Am 8. Dezember 2009 um 12:49 Uhr
Jemanden zu bespucken ist ebenfalls Körperverletzung. Ich bin mir aber überhaupt nicht sicher, wie ein Richter entscheiden würde – in so einem Fall.
Ich bewundere dich, liebe Christa, dass du dich rausgehalten hast. Ich hätte schon viel früher eingegriffen – mit Worten natürlich. Spätestens beim Zunge rausstrecken hätte ich entweder das Kind, vermutlich aber die Mutter angeschrien. In mir steigt ja schon der Zorn hoch, wenn ich das da oben nur lese. Wenn ich dabei gewesen wäre … ich hätte nicht schweigen können, denn in solchen Situationen “geht mir das Messer im Sack auf”, die der Badenser sagt. Als Erziehungsberechtigte versagt diese Frau ja völlig. Würde mich interessieren, was aus dem Rotzbengel mal wird. Eine tragende Säule der Gesellschaft bestimmt nicht. Es sei denn er bekommt mal eine Lektion, die ihm nachhaltig in Erinnerung bleibt. Damit meine ich nicht Prügel, sondern etwas, bei dem er lernt, wie wichtig ein respektvoller Umgang mit anderen Menschen ist.
Zornige Grüße – von Renate
Am 8. Dezember 2009 um 13:33 Uhr
Goldisch Renate wie du dich ereiferst.
Glaub mir, mir ging es ähnlich wie dir. Nur habe ich eines mit den Jahren gelernt, ich muss nicht zu allem etwas sagen. Zu oft stand ich am Ende alleine da und das obwohl sich alle ereifert hatten.
Mein Auftritt am Ende hat alles entschädigt, das war Genugtuung pur, die ich ganz “unchristlich” in vollen Zügen genossen habe, was man mir, wie ich vermute, auch ansah.
Liebe Grüße
Christa
Am 31. Mai 2010 um 10:20 Uhr
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Am 19. Juni 2011 um 23:46 Uhr
Diese Begebenheit erirnnert mich an eine Situation aus meiner eigenen Jugend. Auch ich war oft ein sehr “unerzogenes” Kind, wie man heute sagen würde. Als ich etwa 10 Jahre alt war, ging meine Mutter mit mir zum Gesundheitsamt. Dort habe ich der Arthelferin erstmal zur “Begrüßung” vors Schienbein getreten. Heute schäme ich mich dafür zutiefst und weiß selbst nicht mehr, warum ich das getan habe. Überrascht war ich von der Reaktion der Arzthelferin: Sie hielt einen Augenblick inne und trat mich kurzerhand zurück! Ich spürte einen kräftigen Schmerz im Schienbein und war einfach nur iriitiert, denn mit so einer Reaktion hätte ich nicht gerechnet.
Böse bin ich der Frau dafür nicht, denn aus heutiger Sicht war das genau die richtige Reaktion. Durch das Zurücktreten habe ich nicht nur gemerkt, das ein Tritt vors Scheinbein weh tut, sondern auch, dass sich andere Menschen nicht alles gefallen lassen, wenn man sie angreift oder verletzt. Gut fand ich auch die Reaktion meiner Mutter, die sich nicht schützend vor mich gestellt hat, sondern Verständnis hatte für die Reaktion der Frau. Auch das war für mich eine Art “heilsamer Schock”.
Ich bin gegen körperliche Züchtigungen (also auch Ohrfeigen)als bewusst eingesetztes Erziehungsmittel. Trotzdem kann es für ein Kind manchmal die einzig lehrreiche Reaktion sein, wenn auch erwachsene Menschen sich auf drastische Weise wehren, sobald bestimmte Grenzen überschritten werden. Für Kinder sind solche Reaktionen oft heilsamer als falsch verstandene Toleranz.
Am 20. Juni 2011 um 15:19 Uhr
Hallo Steffen,
danke für diesen schönen Kommentar auf einen Beitrag, der so lange zurückliegt und für mich derzeit brandaktuell ist. So als hätten Sie es geahnt.
“Sich einmischen oder sich raushalten”, oft ist die Entscheidung schwierig. Da spielt die eigene Befindlichkeit mit, was ich selbst für gut und richtig halte. Außerdem die Verfassung des anderen und seine Beziehung zu mir. Das eigene Verhalten kann so viel auslösen. Manchmal etwas ganz anderes, als ich urspünglich beabsichtigte.
Worauf ist in der Erziehung zu achten? Kinder brauchen Grenzen. So wie Ihre Mutter gehandelt hat, genauso hätte ich auch gehandelt. Auch ich hätte mich nicht schützend vor mein Kind gestellt. Erziehen ist ein schwieriges Geschäft, bei dem man häufig scheitert und manchmal auch nicht mehr weiter weiß. Ich bin echt froh, dass diese anstrengende Arbeit hinter mir liegt.
Selbst habe ich sehr spät gelernt wann Einhalt geboten und Härte zielführend ist. Die Schwierigkeit bestand für mich darin, das “Böse” zu erkennen. Ich denke ganz einfach anders. Es ist auch heute noch nicht mein Stil mit fatalen Waffen zurückzuschlagen. Aber manchmal ist es angesagt Klartext zu reden, da muss ich mir Respekt verschaffen, um nicht für dumm verkauft zu werden.
Oh ich hätte noch so viel zu diesem schwierigen aber spannenden Thema zu schreiben …….
Liebe Grüße und danke für Ihre Stippvisite hier bei “ver-rueckt.net”
Christa Schwemlein