26. September 2008 von Christa

Biblisches

“Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf”, zitiert Jochen Mai Hermann Hesse in einem seiner neueren Beiträge.

Gerne hätte ich diesen Beitrag kommentiert. Habe es dann aber sein lassen, weil das, was mich ansprach, nämlich die Vergebung, nur ein kleiner Teil dieses Beitrages war.

“Mit der Vergangenheit abzuschließen bedeutet auch, alte Wunden nie mehr aufzureißen”,

lese ich. Was ich für mich gerne ergänzen möchte:

Schuldig werden wir alle, unser Leben lang – mal bewusst, mal unbewusst. Bin ich verletzt, muss ich erst mal mit der Situation klar kommen. Erst dann kann ich Vergangenes hinter mir lassen und sagen: Mit diesem Klotz am Bein muss ich leben. Ich habe das für mich abgeschlossen.

Verletzungen aber, die den Menschen in seinem Wesenskern treffen, seine Würde verletzen, ihn lächerlich machen oder ihn in seiner religiösen Identität in Frage stellen, werden von der Seele nicht vergessen. Wenn an solchen verletzenden Ur-Erfahrungen gerührt wird, bewusst oder unbewusst, können alte Wunden mit all den dazugehörigen Gefühlen, selbst nach vielen Jahren wieder aufreißen.

Vergeben meint nicht, die mit der Verletzung verbundenen Gefühle nicht mehr haben zu dürfen. Vergeben ist auch nicht an eine Versöhnung gekoppelt, wie oft angenommen. Vergeben bedeutet für mich, dem Anderen trotz der schmerzlichen Erinnerung keine Vorwürfe mehr zu machen. Es stellt sich die Frage, was wir, nicht er oder sie – nein wir! – jetzt tun können, um die Zukunft besser zu gestalten.

Ich lese gerne in der Bibel, sowohl in der von Jochen Mai als auch im Original. In der Letzteren finden sich mehrere Versöhnungs- und Heilungsgeschichten, die helfen, dass  Verletzungen im Laufe der Zeit ausheilen, weil andere gute Erfahrungen die Seele füllen. Solche Heilungen sind in meinen Augen aber als ein besonderes Geschenk zu betrachten. Es gibt Verletzungen, und das wird der ”Normalfal” sein, die allein mit dem Lesen eines Buches nicht zu heilen sind. Dazu braucht es Menschen.
Den Mut unsere Verletzungen anzuschauen und darüber zu reden geben uns oft Menschen, die uns begleiten – Therapeuten oder Seelsorger. 

Erst wenn wir es wagen über unsere Verletzung zu sprechen, erst dann verlieren auch unsere Verletzungen die große Macht über uns.

Christa Schwemlein

 

Der Beitrag wurde am Freitag, den 26. September 2008 um 22:41 Uhr veröffentlicht und wurde unter Bücher, Blog-Geflüster, Eigene Gedanken zu..., Kleine Bibelkunde, Zitate abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.

Eintrag Nr. 1226 | Kategorie Bücher, Blog-Geflüster, Eigene Gedanken zu..., Kleine Bibelkunde, Zitate | 6 Kommentare »





6 Reaktionen zu “Biblisches”

  1. Menachem

    Hallo Christa,
    “erst wenn wir es wagen .. zu sprechen, dann verliert es die Macht”.
    Das sehe ich genau so wie du. Nun war ich ja viele Jahre in AA, und die wirkliche Medizin dort ist das “darüber sprechen”, und Menschen, die zuhören.
    Ich wollte mich deiner wichtigen Botschaft, des “sprechens” mit diesen Zeilen anschließen.
    Liebe Grüße, Menachem

  2. Urs

    Guten Abend Christa
    Dein Artikel hat in mir noch etwas Weiteres geweckt. Ich glaube, dass am Anfang allen Vergebens die Fähigkeit steht, [i]sich selber zu Vergeben[/i]. Also letztlich mich so annehmen, wie ich bin, als göttliches Wesen mit einem Rucksack voller Taten, die mich reuen. Erst dann werde ich bereit, andere Menschen, auch wenn sie mich verletzt haben, als göttliche Wesen zu akzeptieren – und ihnen damit zu vergeben. Ich weiss, das tönt schrecklich pfarrherrlich. Und ich bin selber gar nicht so weit. Aber für mich ist das die Vorbedingung zu Frieden zu kommen, zu Frieden mit mir und mit der Welt. Und der Frieden mit mir ist die Voraussetzung für Frieden [i]in[/i] der Welt.
    Ich war im Frühling in Israel und bin in vielen Gesprächen und in der Begegnung mit Neve Shalom / Wahat al Salam (http://nswas.org) zur Überzeugung gekommen, dass die Vergebung, wie Du oben sagst, einen Schlussstrich machen können mit der Vergangenheit, eine notwendige Vorbedingung für Frieden in Palästina wäre. Stattdessen werden ja bekanntlch auf arabisch-palästinensischer wie auch auf jüdischer Seite die Vereltzungen der Vergangenheit aufwändig kultiviert und an die neuen Generationen weitergegeben.

  3. Märchen-Blog » Blog Archive » » Welthund - Bachpfattli

    [...] verraten. Schau ihn Dir selber an. Ich habe ihn kürzlich gesehen – und kurze Zeit später einen Blogartikel von Christa Schwemlein gelesen, der mich auch bei den folgenden Gedanken begleitete: Im Film werden einige wichtige Themen [...]

  4. Christa

    Hallo Urs,

    *Lach* – Ja, das ist pfarrherrlich angekommen. Ich denke, dies ist ein unerschöpfliches Thema, welches im virtuellen Raum gar nicht zu diskutieren geht.
    Wichtig finde ich, wie du schreibst, die Selbstannahme mit allen Fehlern und Schwächen. Aber das setzt dann wieder den Blick in den Spiegel und die Auseinandersetzung mit sich selbst voraus. Tja, und wer will oder kann schon immer, gerade in unserer heutigen Leistungsgesellschaft, alles genau sehen. Blöd ist nur, das, was wir nicht sehen wollen oder vielleicht verdrängt haben, kommt uns oft durch andere Menschen wieder entgegen.

    :-) Jetzt muss ich lachen, weil mir gerade eine Episode aus meiner Jugend einfällt. Ich war mit meiner Freundin zelten – in Italien. Wir beide fürchteten uns so sehr vor Ungeziefer. Irgendwann meinte meine Freundin: “Ich beneide dich um deine Kurzsichtigkeit. Du kannst jetzt einfach die Brille absetzen”. Tja…. ;-)

    Was das göttliche im Menschen angeht, das kann ich auch nur dann sehen, wenn ich an Gott und seine Schöpfung glaube, wenn ich glaube, dass er den Menschen als sein Ebenbild erschaffen hat. Glaube ich das nicht :-( … hakelts oder… ?

    Es gibt Verletzungen, die können und müssen in meinen Augen auch nicht vergeben werden. Abschließen, sich sagen wie oben beschrieben, mit diesem Klotz am Bein muss ich leben, ist für mich eine Variante. Hifreich und heilend dabei ist, darüber sprechen zu können. Ansonsten ist die Situation vergleichbar mit einem Dampfkessel mit geschlossenen Ventilen. Auf Außenstehende wirkt der Betroffene gelassen, ruhig und höflich. Dabei steht er wie der Kessel ständig unter Druck, mit der Gefahr, irgendwann zu explodieren – zu Grunde zu gehen.

    “Wer sich mit seiner Vergangenheit nicht auseinandersetzt, ist gezwungen, sie zu wiederholen”, wusste schon Sigmund Freud.

    Herzliche Grüße
    Christa

  5. Urs

    Guten Tag Christa
    Ich habe letztes Wochenende Lessing’s “Nathan der Weise” gesehen und gehört. Da geht es unter anderem auch um die Vergebung und Vergangenheitsbewältigung. Ich habe mich darüber auf meinem Blog ausgelassen:
    http://maerchenquelle.ch/m-blog/wordpress/nathan-der-weise/418/
    Herzliche Grüsse
    Urs

  6. Christa

    Hallo Urs,

    Nathan mag ich sehr. Ich meine, wenn mich nicht alles täuscht, dies auch in einem meiner früheren Gespräche erwähnt zu haben. Deinen Bericht habe ich bereits gesehen, muss aber gestehen, dass ich ihn noch nicht gelesen habe. Für solche Texte nehme ich mir gerne etwas Zeit, mache mir Gedanken, um, wenn ich das Bedürfnis und die Zeit habe, einen Kommentar zu schreiben, zu dem ich stehe.

    Die Vergebung und die Vergangenheitsbewältigung ist ein beliebtes Thema im Netz und du liegst damit, um jetzt mal ein bisschen flapsig daher zu kommen, voll im Trend. ;-) Es werden die verschiedensten und merkwürdigsten Bewältigungsmehtoden angeboten.

    —Das Freudenfeuer: Verletzungen auf einen Zettel schreiben und diesen im Anschluss verbrennen.

    —Das Begräbnis: Verletzungen in einem Schuhkarton sammeln und diesen im Anschluss vergraben.

    —In Luft auflösen: Verletzungen an einen Luftballon binden und diesen im Anschluss fliegen lassen. weg damit!

    —Weg reden: Verletzungen einem Sorgenpüppchen anvertrauen.

    —Die Verdrängung: In der Hoffnung vergessen zu können.

    —Die Weitergabe: An Personen, die einem im Grunde nichts getan haben.

    Christen wird empfohlen, Verletzungen Gott zu überlassen. Eine Variante, die ich selbst schon ausprobiert habe aber in einigen Fällen erst in Verbindung mit der Psychologie gegriffen hat. Im Grunde könnte man daraus einen eigenen Beitrag machen.

    Ich denke jeder muss seinen eigenen Weg finden, wie er mit derartigen Dingen umgeht. Sich damit auseinandersetzen, der Dinge bewusst werden und eventuell psychologische Hilfe in Anspruch nehmen ist die Variante, die mir persönlich am Besten gefällt. In meinen Augen ist das auch der Weg, um der Gewalt letztendlich ein Ende zu setzen.

    “Welche Folgen hat es, wenn du als Kind geschlagen wirst”, war vor nicht all zu langer Zeit ein lesenswerter Beitrag auf dem Persönlichkeitsblog.

    Christa Schwemlein

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