15. April 2015 von Christa

Abstiege – Zentralanatolien 06

Ein Traum schreckt mich aus dem Schlaf. Es ist selten, dass mir Träume nach dem Aufwachen noch so präsent vor Augen sind und ich sie in meinem Tagebuch festhalten kann.

Heute geht es unter die Erde. Wir beginnen den Tag mit einem Abstieg in eine der unterirdischen Städte. Ungefähr 150 solcher Städte hat man bis heute entdeckt, doch nur einige wenige können derzeit besichtigt werden.

Die Höhlenstadt Kaymaklı

Bei strömendem Regen kommen wir in „Kaymaklı“ an. Diese Höhlenstadt wurde Anfang der 60er Jahre entdeckt und in den darauf folgenden Jahren für Besucher zugänglich gemacht. Von den acht unterirdischen Stockwerken ist nur der Besuch der oberen vier Stockwerke möglich. Der Rundgang durch die labyrinthartigen Gänge lohnt, ist jedoch äußerst mühsam, da der größte Teil der Strecke in gebückter Haltung zurückgelegt werden muss. Menschen mit Platzangst wird von einer Besichtigung abgeraten.

Bis heute ist noch nicht endgültig geklärt, wann und zu welchem Zweck solche Höhlenstädte gebaut wurden. Urchristen sollen hier Schutz vor den Römern gesucht haben. Wie viel Schweiß mag beim Bau solcher Unterschlüpfe wohl geflossen sein? Luftschächte, Wohn- und Vorratsräume, Wasserreservoirs, Ställe, Toiletten, Werkstätten und eine Kirche, an alles war gedacht, um einen längeren Aufenthalt zu ermöglichen. Ich frag’ mich, ob wir heute auch an eine Kirche denken würden?

Die Ihlaraschlucht

Gleich nach der „Gesundheitspause“ geht es ordentlich in die Beine. Ca. 380 Stufen führen hinunter in das Ihlaratal. Mir wird angst und bange. Mir graust vor dem Aufstieg. Doch Ender gibt Entwarnung. Am Ende des Weges wird „Abo“ mit dem Bus auf uns warten. Die tiefeingeschnittene Schlucht wird als „Grand Canyon der Türkei“ bezeichnet und gehört ebenfalls zum Welterbe. Obwohl fast alle Reiseveranstalter dieses Tal im Programm haben, hält sich der Besucherstrom in Grenzen.

Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Die Sonne strahlt und die Erde dampft. Da der „Melendiz“ im Gegensatz zu den anderen Flüssen das ganze Jahr über Wasser führt, hat sich hier eine üppige und vielfältige Vegetation ausbreiten können. Der schmale Pfad entlang des Flusses wirkt wie ein von der Natur angelegter Waldlehrpfad. Wir wandern an Birken, Weiden und Zypressen vorbei und kriechen unterwegs in versteckte Höhlenkirchen und Felswohnungen. Besonders sehenswert ist die byzantinischen „Schlangenkirche“. Sie soll die größte und eindrucksvollste Kirche im Tal sein. Die Ausmalungen im Inneren stehen ganz im Zeichen des jüngsten Gerichts. Wir kommen in ein intensives Gespräch über Himmel, Hölle, Fegefeuer und die Barmherzigkeit Gottes.

Inzwischen ist es Zeit für eine Rast. Am Flussufer finden wir ein malerisches Plätzchen. Zum ersten Mal während dieser Reise bedauere ich, mit einer Gruppe unterwegs zu sein. Hier hätte ich gerne mehr Zeit verbracht. Gerne hätte ich meine Füße in das klare, kühle Wasser des Flusses eingetaucht, im Schatten der Weiden dem Konzert der Frösche und Vögel gelauscht und die einzigartige Atmosphäre dieses wildromantischen Tals auf mich wirken lassen. Doch Ender drängt zum Aufbruch. Wir müssen uns beeilen. Um 14.00 Uhr steht ein Schulbesuch auf dem Programm.

Unter Schülern

Die Schüler winken uns schon von weitem aufgeregt zu. Wir dürfen an einer Englischstunde teilnehmen. Ich staune, wie gut diese kleine Dorfschule mit digitalen Unterrichtsgeräten ausgestattet ist. Nach dem Unterricht folgt ein reger Austausch über das türkische und das deutsche Schulsystem. Die Frage des Lehrers, ob bei uns an den Schulen Türkisch gelehrt wird will mir nicht aus dem Kopf. Irgendwie ist das ja schon verrückt. Bei uns leben so viele Türken. Mehrere Millionen Deutsche verbringen jährlich ihren Urlaub in der Türkei, doch wer lernt bei uns schon Türkisch?

Losgelassen ;-)

Ab 16.00 Uhr gehört der Nachmittag uns. Mein Mann und ich spazieren ins Dorf und kaufen Nüsse und getrocknete Aprikosen. Von jetzt auf nachher fängt es zu regnen an. Es schüttet, was das Zeug hält, genau wie in Ankara. Wir flüchten in die nächstgelegene Teestube und es dauert nicht lange, bis unsere Reisegruppe fast komplett um den großen, runden Holztisch versammelt ist. Wir trinken Wein, knabbern Nüsse und schließen eine Wette ab, wer von uns Morgen einen Teppich kaufen wird. Nach dem letzten heftigen Regenschauer verlassen wir das Lokal und kehren bei leichtem Nieselregen beschwingt in unser Hotel zurück.

Christa Schwemlein

Erlebt am:
Montag, den 2. Juni 2014.


Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 15. April 2015 um 20:19 Uhr veröffentlicht und wurde unter Reisen abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.

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