22. Februar 2012 von Christa

Spieglein, Spieglein and der Wand

Derzeit schickt Google viele Besucher über die Suchbegriffe „Fasten“ und „Abnehmen“ auf meine „ver-rueckten“ Seiten. Der Verweildauer und dem Klickmuster entnehme ich, dass es sich um interessierte LeserInnen handelt. Daher habe ich mir gedacht, ich könnte mein Blog mit einem Archivtext aus 2002 aus dem Winterschlaf erwecken.

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Medien und Werbung

Medien und Werbung sind schuld. ;-) Seit Jahren geben sie uns vor, wie wir Frauen zu sein haben: Jung, schlank, fit und nach Möglichkeit das ganze Jahr über sportlich gebräunt. Um in unserer Gesellschaft akzeptiert zu werden glauben wir, dieser „Norm“ entsprechen zu müssen. Wir fühlen uns wohl, wenn der BMI stimmt und gut, wenn der Zeiger der Waage sich in einem bestimmten Bereich bewegt. Gewicht und Aussehen werden ständig kontrolliert. Ich spreche aus Erfahrung. ;-) Und so laufen wir uns die Seele aus dem Leib, quälen uns mit Diäten und schweißtreibenden Aufenthalten im Sportstudio.

  • Wie sehe ich aus?
  • Bin ich auch wirklich nicht zu dick?
  • Ich hab’ doch kein Doppelkinn? Oder etwa doch?

Ich bin mir sicher, vielen meiner Leserinnen sind diese Fragen nicht fremd. Was geht da nur in uns vor?

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Welt noch in Ordnung. Bis dahin gab es ausschließlich Handspiegel, mit denen das Aussehen überprüft werden konnte. Ob die Figur in Ordnung war erfuhr man durch die wohlwollende Bewunderung Dritter. Mit dem Aufkommen großer Spiegel kam es zu einer neuen Art der Selbstwahrnehmung. Der Spiegel wurde stummer Beobachter. Bald gesellten sich zu dem imaginären Publikum die Fotografie und der Film. Das Aussehen wurde dokumentiert. Einige Jahre später zog die Waage in die Badezimmer ein. Das Elend war perfekt. Das Körpergewicht war kontrollier- und vergleichbar. Man war sich einig, dass zur Erhaltung der Lebensfreude am Körper gearbeitet werden musste. Weg mit den Rettungsringen! Und genau hier liegt das Problem, wissen die Experten: Bilder, die wir von uns haben kommen nicht aus uns heraus. Sie werden von den Medien vorgegeben.

Die Models werden immer dünner und wir Frauen orientieren uns daran. Weshalb sonst ist der Schlankheitsmarkt immer noch nicht gesättigt? Ständig kommen neue Diäten und Hilfsmittel auf den Markt, die den Weg in eine schlanke Zukunft versprechen. In meinem Bekanntenkreis kenne ich keine Frau ohne Diäterfahrung. Selbst meine gertenschlanke Freundin sagt: „Ich will so bleiben wie ich bin“ und legt, wenn die Waage ihr es sagt, einen Fastentag ein.

50 – na und?

Analog zum Schlankheitswahn verhält es sich mit der Jugendlichkeit. Mütter wollen keine Mütter mehr sein. Sie ziehen es vor, die beste Freundin ihrer Tochter zu sein und verzichten aus diesem Grund auf ihren eigenen Stil.

Iris Berben wird zum Idol der Frau in den besten Jahren. Wege 50 jähriger Frauen werden in Frauenzeitschriften wie, nein Namen nenne ich mal lieber nicht, mit Lobeshymnen beschrieben. Doch die Jugendlichkeit fällt uns Frauen nicht in den Schoß. Im Gegenteil, sie muss hart erarbeitet werden. Das erste Gebot lautet:

Eiserne Disziplin:
Keine Schokoloade, keinen Kuchen, weder Pizza noch Pommes und auch keinen Wein. :-(

Wo ist das Problem?

Das Problem ist nicht der Körper. Das Problem entsteht im Kopf: Ein magerer Selbstwert und die Angst, ohne den perfekten Körper nicht begehrenswert zu sein. Diese Ängste lassen die Kassen klingeln. Und ich vermute sie sind schon lange keine reine Frauensache mehr. Verirren sich doch auch Männer, wenn auch wenige, in Abnehmforen. Längst hat die Werbewirtschaft den muskulösen Mann entdeckt. Ihm wird mittlerweile dieselbe Lüge eingeredet, die uns Frauen schon jahrelang auf Trab hält.

Was tun?

Ein Patentrezept habe ich nicht. Mein Gewicht schwankt nach wie vor. Frieden mit mir selbst stiften und einverstanden sein mit dem, was aus mir geworden ist, auch wenn es dem Idealbild der „Norm“ widerspricht, das ist seit Jahren meine Devise. Was nicht heißt, dass ich den Pfunden freien Lauf lasse. :-D

Es wäre falsch, Zeitschriften zu zensieren, Fitnesstudios und Schöheitsfarmen zu schließen, Kosmetikstudios zu verbieten oder gar das Fernsehen abzuschaffen. Mir ist wichtig deutlich zu machen, dass mit Diäten und Diätmitteln bestenfalls das Portemonnaie abnimmt, sich am Umfang der Hüfte oder des Bauches nichts ändert und der eigentliche Gewinner eben die Schlankheitsindustrie ist. Wie wäre es mal mit der Frage?

Wie sehe ich meinen Körper – lebenslange Baustelle oder Haus, um darin zu wohnen?

In diesem Sinne wünsche ich allen hier Mitlesenden eine gute Fastenzeit.

Christa Schwemlein

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 22. Februar 2012 um 23:04 Uhr veröffentlicht und wurde unter Abnehmecke abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.

Eintrag Nr. 7229 | Kategorie Abnehmecke | 2 Kommentare »





2 Reaktionen zu “Spieglein, Spieglein and der Wand”

  1. Dori

    Liebe Christa,
    was für ein Post! Bist Du im Wandel? So wie wir alle?
    Das, was die Medien uns aufoktroyieren, interessiert mich schon lange nicht mehr. Ich bin 57 ja und? Ich bekomme sooo viel Resonanz, viel mehr als noch vor 20 Jahren.
    Mein Gewicht? Entschuldigung, wen interessiert das außer…
    Niemand, den ich kennenlerne, oder der in meinem Leben ist, interessiert sich für mein Gewicht. Eher für mein Ausstrahlung, für das, was ich aussende.
    Ich hab diesen Dingen den Rücken gekehrt, und bekomme viel mehr Zuwendung, als ich jemals für möglich gehalten hätte :-)
    Eigentlich bin ich ja eine “alte Schachtel”. Aber so werde ich nicht GESEHEN!
    Ganz liebe Grüße von Dori :-D

  2. Christa

    Liebe Dori,

    diesen Wandel habe ich schon lange hinter mir. Dies ist, wie oben ja geschrieben, ein Beitrag aus 2002, also bereits 10 Jahre alt. Immer noch brandaktuell, wenn ich meinen Zugriffszahlen trauen kann. :-)

    Liebe Grüße Christa.

    P.S.
    Irgendwie war das komisch. Als Autor dieses Posts stand mein Name, meine E-Mail-Adresse und die URL von ver-rueckt.net. Ich habe das gelöscht, nicht dass vielleicht jemand auf die Idee kömmt ich würde meine Kommentare selbst schreiben. Wenn ich deine URL eingeben soll, melde dich, dann trage ich sie nach.

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