18. Juni 2008 von Christa

Was sitzt mir im Nacken?

Seit meinem Autounfall im Mai wollen meine Schmerzen im Nacken einfach nicht weichen.

“Was sitzt Ihnen im Nacken?” war die erste Frage meiner Heilpraktikerin, die ich immer dann aufsuche, wenn die klassische Medizin nicht greifen will.

“Was sitzt Ihnen im Nacken?” Grrrrr …. ich hätte in die Luft gehen können. Ich komme mit Schmerzen und erhoffe mir Hilfe in Form von Bachblüten, Globoli oder Akupunktur. Auf diese psychologischen Fragespielchen hatte ich überhaupt keine Lust.

“Was soll da sitzen?” antwortete ich gereizt. Die Wohnung und der Garten sind in der Reihe, im Geschäft läuft alles rund, Hausarbeiten für mein Studium sind, bis auf eine, alle geschrieben und mit der Vorbereitung für die nächste Prüfung liege ich gut in der Zeit.

Dennoch geht mir diese Frage nicht aus dem Kopf. Sollte es etwa die Anfrage nach dem “ernst gemeinten christlichen Glauben” sein, die mein junger Internetfreund vor einiger Zeit an mich richtete?
Mein Gott, so ernst nahm ich dieses Anliegen ja gar nicht. Aber was macht der Mensch in seiner Verzweiflung nicht alles? Er, in diesem Fall sie, setzt sich hin und formuliert in der Hoffnung auf Schmerzlinderung eine Antwort: ;-)

***

gartenrose-ewald-bearbeitet.jpgLieber Markus,

du schreibst du würdest viele Leute kennen, die sich ihre eigene Religion zusammenbasteln, in dem sie sich, wie in einem Selbstbedienungsladen die Inhalte aus den verschiedenen Glaubenslehren herauspicken, die ihnen angenehm sind.

Was soll ich dazu sagen? Ich kann dir nur zustimmen. Auch in meinen Augen hat dies nichts mit “ernst gemeintem” Glauben zu tun. Damit meine Antwort jedoch nicht so knapp daherkommt, vielleicht noch ein paar ergänzende Worte:

In meinem Alltag, bei der Arbeit und auch im Netz beobachte ich, dass Religion wieder ein öffentliches Thema wird. Auch wenn ich von einer religiösen Aufbruchstimmung wenig spüre, werde ich mit zunehmendem Alter immer häufiger in Diskussionen verwickelt, in denen es darum geht, an was man sich festhalten kann, wenn alles von Menschen Gemachte und Erdachte zerschlagen wird. Was trägt mich, wenn ich in existentielle Not gerate?

Ich treffe auch auf Menschen, die schlechte Erfahrungen mit dem eigenen Glauben gemacht oder den Glauben als Fessel erfahren haben. Solche Menschen können mit ihrem Glauben nichts mehr anfangen. Sie kommen zu der Überzeugung, ihr Glaube passe nicht mehr zu Ihnen und legen ihn ab wie einen alten Mantel. Auch höre ich Stimmen wie: Ein aufgeklärter Denker muss den Glauben hinter sich lassen.

Unsere Welt verändert sich in einer rasanten Geschwindigkeit. Die Wandlungen kommen in immer kürzeren Abständen. Dies fällt mir ganz besonders auf, seit ich mich im Internet bewege. Kaum habe ich etwas gelernt und verstanden kommt schon das nächste. Die große weite Welt ist durch den technischen Fortschritt zu einem unheimlich kleinen Raum geschrumpft.
Mir scheint, wir sind in einen Strudel geraten, aus dem wir uns aus eigener Kraft nicht mehr befreien können.  Kann unter diesen Umständen der Glaube immer derselbe sein?

Vom Kern her bestimmt, aber das “Wie” ist anders geworden. Es gibt heute viele Strömungen und Weltanschauungen. Wir wissen viel von anderen Religionen. Alle haben eines gemeinsam: Sie suchen die Seele.

Die vielen Meinungen führen zu einer großen Privatisierung. Jeder darf glauben was er will, was am besten zu ihm passt und was ihm gut tut.
Man nehme ein bisschen Jesus, ein bisschen Buddha, mische etwas Yoga, ThaiChi unter und würze das ganze mit einer Prise WU-WEI. Einmal kräftig schütteln und schon hat man seine eigene Religion – die “Patschworkreligion”.

Jetzt komme ich zurück auf deine Frage. In einer Gesellschaft, in der sich jeder selbst seinen Privatglauben zusammen bastelt, dort muss letztendlich die Frage offen bleiben, auf welche Grundüberzeugungen in existentiellen Fragen man sich wirklich verlassen kann, wenn es um die entscheidenden Fragen des eigenen Lebens geht. Ein bloßer Meinungsaustausch  hilft da meines Erachtens nicht viel weiter.

Ich denke, jeder religiöse Weg führt – wird er bewusst gegangen – zu einer tiefen Erfahrung und bietet ein tragfähiges Fundament. Wir können uns gegenseitig über Erfahrungen austauschen und im Dialog von einander lernen und uns zu verstehen versuchen. Die große Gefahr sehe ich aber, genau wie du, im miteinander vermischen, weil damit die Verbindlichkeit und ein Stück weit auch das eigene Profil verloren geht.

Oh je, jetzt wurd’ es doch ein wenig länger.

Herzliche Grüße
Christa

***

Ich setze mich aufrecht hin und lausche in mich hinein … … Meinen Atem nehme ich bewusst wahr … … Ich atme ruhig ein und aus… … ein – aus – ein – aus…ich spüre … …

der Schmerz im Nacken ist immer noch da :-( Vielleicht sollte ich es mit beten versuchen ;-)

Gute Nacht und schlaft gut!
Christa Schwemlein

Foto: Ewald Erb

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 18. Juni 2008 um 21:43 Uhr veröffentlicht und wurde unter Aus meinem Postkasten, Eigene Gedanken zu..., Kirche, Vertrauen abgelegt. du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. du kannst einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf deiner Seite einrichten.

Eintrag Nr. 1093 | Kategorie Aus meinem Postkasten, Eigene Gedanken zu..., Kirche, Vertrauen | 6 Kommentare »





6 Reaktionen zu “Was sitzt mir im Nacken?”

  1. Bernd

    Moin Christa, was erwartest Du von einer Achtsamkeitsübung? Wenn da Schmerz im Nacken ist, wirst Du den Schmerz natürlich spüren ;-) Ein Lösen des Schmerzes – was nicht unbedingt auch sein Verschwinden bedeutet, jedenfalls nicht sofort – geschieht in der Akzeptanz des Schmerzes … das kann eine Weile dauern.

    Viele Grüße und gute Besserung!

    Bernd

  2. Manfred

    Hallo Christa,

    Liebe Grüße und gute Besserung

    Manfred

  3. Christa

    Danke ihr Zwei für die Genesungswünsche.

    @ Bernd, ich hoffe doch sehr, dir ist nicht entgangen, dass das mit der Achtsamkeitübung nicht ganz so ernst gemeint war. Aber irgendwie wollte ich meinen Beitrag auch hübsch verpacken ;-)

    Aus Erfahrung weiß ich bereits, dass der Erfolg sich mit derartigen Übungen nicht sofort einstellt – ähnlich wie mit dem Beten halt auch.

    Trotz allem hätte ich diese ekligen Schmerzen jetzt gerne los. Sie sind einfach hinderlich.

    Viele Grüße und schönes Wochenende
    Christa

  4. Martin

    Hallo Christa,
    Ihre Antwort beeindruckt mich – vor allen Dingen “wie” Sie geantwortet haben.Ich erlebe es ähnlich. Mir begegen auch viele Christen, die in anderen Religionen eine spirituelle Heimat suchen.
    Der Dialog mit anderen Religionen ist dringend notwendig, gefährlich ist das Vermischen. Dieser Hinweis von Ihnen hat mir sehr gut gefallen. Wer überall sucht baut sich sein eigenes religiöses Haus. Es stellt sich die Frage, wie tragfähig dieses Gebäude ist?

    Ein wirklich schöner Beitrag!

    Ich wünsche Ihnen gute Besserung und mir, dass Sie bald wieder schreiben.
    Martin

  5. Christa

    Danke Martin.

  6. Sabine -S.

    beeindruckend! Derartige Gespräche hätte ich im Netz nicht vermutet. Bin neu hier. Eine schöne Homepage haben Sie.
    Sabine

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